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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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nahm ich einen Baileys auf Eis. Mein Vater registrierte das wohl zum ersten Mal. Plötzlich packte er mich fest am Oberarm, zog mich zu sich und zischte mir ins Ohr: »Hör sofort auf mit diesem fetten Zeug, du wirst zu dick.«
    Als ich mit fünfzehn mit acht Kilo Übergewicht nach einem Schüleraustausch aus Australien zurückkehrte, war das eine Katastrophe. Der Druck, den mein Vater danach ausübte, war so groß, dass ich ganz von selbst mein Essen regulierte. Als ich abnahm, bekam ich dann endlich sein Lob – und so startete meine Diätkarriere. Süßigkeiten waren mir strengstens verboten, was dazu führte, dass ich heute noch ein berauschendes Freiheitsempfinden verspüre, wenn ich mir eine Tafel Schokolade kaufe. Zwischen diesen beiden Hochgefühlen – erfolgreich eine Diät absolviert zu haben und einer maßlosen Lust an Süßem – pendle ich seit Jahren hin und her.
    Mein Vater lebte mir ebenso das Modell vor, wie er sich ein Zusammensein mit einer Frau vorstellte. Seine Freundin war Friseurin, er nannte sich jetzt Kaufmann; sie verdiente sehr wenig, er sehr viel. Inzwischen wohnte er in Hamburg, seine Gefährtin auch. Außerdem besaß er eine Wohnung in München und eine auf der Nordseeinsel Sylt. Die Miete der Wohnungen bezahlte er. Da er den größten Teil des Unterhalts bestritt, bestimmte er, wie wir lebten.
    An den Wochenenden flogen mein Vater und seine Freundin gemeinsam nach München oder in eine andere europäische Großstadt, ins »Weekend«, so nannte mein Vater das. In den Ferien trafen wir drei uns meistens auf Sylt. Samstags ging es immer zu einem Feinkostladen nach Westerland. Der Einkaufswagen war ebenso riesig wie das Geschäft selbst; ich schob ihn und folgte den beiden durch die Gänge. Während mein Vater sich an der Fischtheke festquatschte und dabei Nordseekrabben, Lachs und Krebsschwänze einkaufte, stand seine Geliebte beim Fleisch in der Schlange, um Parmaschinken zu ordern. Am Ende zahlte er für jeden Einkauf um die 400 Mark.
    Doch ganz egal, wo wir waren, wir lebten seine Interessen – essen gehen, Partys feiern. Wir trugen Klamotten, die er leiden mochte und bezahlte – Kaschmirpullover, Versace-Blazer –, und trafen uns mit Leuten, die er für wichtig und richtig hielt. Natürlich hatten wir beim Oktoberfest einen eigenen Tisch im Zelt von Feinkost Käfer. Als mein Vater noch mit meiner Mutter zusammenlebte, war unser Dasein nichts anderes als ein spießiges Vorstadtleben. Seit ihrem Tod wurde mein Vater immer mehr zum Playboy, zwar nur mit einer Freundin, aber ansonsten erfüllte er alle Kriterien eines exzentrischen Partylöwen. Er war ein klassischer Parvenü. Heute lebe ich von Hartz IV , aber ich würde immer noch einen Louis Roederer Cristal einem Veuve Clicqout Rosé Champagner vorziehen, und ich erinnere mich, dass in unserer Garage sowohl ein Rolls-Royce Silver Wraith als auch ein Bentley Mark VI standen.
    Ich sollte so werden wie seine Freundin. Er fand sie energisch – wohl im Gegensatz zu meiner Mutter. Es war ihm aber immerhin wichtig, dass ich ein gutes Abitur machte. Ich sollte studieren und möglichst erfolgreich im Beruf werden – am besten als Betriebswirtin. Er sagte: »Eine Frau, die nicht arbeitet, ist ein unnützer Esser.« Zwar war er konservativ, aber doch nicht so sehr, als dass er es zugelassen hätte, dass seine Freundin nur von seinem Geld leben würde. Mir machte er immer Vorhaltungen, wie teuer die Schule sei: »Was du mich jeden Monat kostest – mehrere Tausend Mark, da könntest du dir wenigstens ein bisschen Mühe geben, dich zu benehmen.« Am liebsten hätte ich erwidert: »Ich habe nie darum gebeten, ins Internat zu gehen«, doch das traute ich mich nicht.
    Ich sollte also unabhängig sein. Stark, aber auch schwach: Er verlangte absoluten Gehorsam und die totale Unterordnung. Warum er so war – ich weiß es nicht. Erst als ich bei meinem Vater auszog und mir mit meinem Freund Björn eine Wohnung teilte, als ich feministische Bücher verschlang und mir ein anderes Selbst aufzubauen versuchte, konnte ich mich ein wenig von ihm lösen. Frei bin ich bis heute nicht.
    In der zwölften Klasse, mit achtzehn, fand ich dann meine erste richtige Freundin. Wir zogen in ein Zimmer, so begann es. Chiara war Italienerin, hatte fast schwarze Wuschellocken, weit auseinanderstehende dunkle Augen

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