Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
Vom Netzwerk:
ich. Aber es schien alles so gut zu passen: Auch Philipp hatte keinen Kontakt mehr zu seinem strengen Vater, auch seine Mutter war früh gestorben; er hatte ebenfalls eine traurige Kindheit gehabt. Heute würde ich bei einer solchen Biografie eher die Flucht ergreifen: Zwei Menschen mit einem Trauma haben es meiner heutigen Erfahrung nach viel schwerer, eine gesunde Beziehung zu führen. Damals jedoch dachte ich, einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Relativ schnell erzählte ich ihm, dass ich eine Therapie machen würde und ab und an Depressionen hätte. Philipp meinte, damit käme er klar. Er selbst hätte immer wieder Anfälle von Melancholie. Was konnte mir Besseres passieren?
    Seine Fürsorge liebte ich am meisten an ihm. Er pflegte mich liebevoll, wenn ich krank war. Mit frisch ausgepresstem Orangensaft, einem Erkältungsbad, einer Fußmassage und einer heißen Suppe. Björn hätte das nie getan. Philipp und Björn waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Für beide hatten die Buchstaben » WO « eine wichtige Bedeutung. In Björns Welt war das die Abkürzung für »Wachoffizier« – die Männer in seiner Familie waren alle bei der Marine gewesen. In Philipps Welt stand » WO « für das Weihnachts-Oratorium von Bach.
    Und weil Philipp in so vielem das genaue Gegenteil von Björn war, dachte ich, ich hätte nun endlich den Mann meines Lebens gefunden. Björn hatte ich für seine großartigen Eigenschaften geliebt – er war zuverlässig, treu, ehrlich, pflichtbewusst und loyal. Doch ich dürstete danach, dass sich jemand intensiv um mich kümmerte. Damals hätte ich das nicht so formulieren können. Ich merkte nur, dass ich durch Philipps Fürsorge aufblühte wie eine Rose an ihrem schönsten Tag.
    Am Anfang war ich restlos von ihm fasziniert. Was mich außerdem ungemein anzog, war, dass er in einem bildungsbürgerlichen Haushalt groß geworden war. Sein Vater ging schon früh mit ihm in die Oper und ins Ballett.
    Â»Als ich das erste Mal Mozarts Zauberflöte sah, war ich so begeistert, dass ich meinen Vater überreden konnte, mir gleich am nächsten Tag eine Aufnahme von dieser Oper zu kaufen«, erzählte er mir.
    Â»Und dann wolltest du zum Kinderballett?«, fragte ich ihn herausfordernd.
    Er grinste. »Das dann doch nicht. Aber zum Tanzkurs wurde ich schon mit zwölf angemeldet.« Mit fünfundzwanzig hatte er das Deutsche Tanzabzeichen in Gold.
    Mit seinen Interessen und seiner Bildung konnte er mich leicht beeindrucken. Männer mit teuren Autos interessierten mich nicht – das kannte ich von meinem Vater her, und mit ihm hatte ich ja einschlägige Erfahrungen gemacht. Doch Philipps Wissen imponierte mir. Dabei war das Bild, das ich von ihm hatte, ziemlich verzerrt. Wenn er auch auf hohem Niveau Geige spielen konnte, so war er längst Teil einer karriereorientierten Businesswelt geworden: Er arbeitete im Vertrieb eines großen Konzerns. Da tummelten sich viele Poser, die nichts anderes im Kopf hatten als »mein Haus, mein Auto, meine Jacht« – ähnlich wie mein Vater.
    Zu Beginn unserer Beziehung war ich aber viel zu verliebt, um genauer hinzuschauen. Ich war verrückt nach seinem Charme, seiner lebendigen Ausstrahlung, dem unglaublichen Sex, den wir hatten. Ich, die immer unsicher mit ihrem Körper war, genoss die Begierde, und er konnte monatelang nicht genug von mir bekommen. Es war wie im Film. Nie wieder in meinem Leben bin ich so oft von Fremden angelächelt worden wie in dieser Zeit, mein Glück schien andere förmlich anzustecken – ich fühlte mich wie von glitzerndem Zauberstaub umgeben, funkelnd und strahlend. Es war, als wäre ich Sterntaler. Aber das Schweben auf Wolke sieben hielt nicht lange an.
    Â»Du bist ein Workaholic«, brüllte ich eines Tages, als er wieder mal um 23 Uhr von der Arbeit kam. Das Essen stand seit 20 Uhr auf dem Tisch. »Ich bin nicht bereit, ein Leben wie der Mann von Angela Merkel zu führen.«
    Â»Heide, du spinnst doch total«, erwiderte er aufgebracht. »Klar arbeite ich viel, aber mir ist meine Freizeit genauso wichtig.«
    Â»Aber ich bin dir nicht wichtig, die Arbeit ist dir viel wichtiger als ich.«
    Â»Das ist doch Quatsch. Mir ist beides gleich wichtig.«
    Wenn ich mich heute frage, wieso wir uns nach den ersten hinreißenden Monaten fast bis aufs Messer stritten, glaube

Weitere Kostenlose Bücher