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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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ich, dass es an zwei Gründen lag. Zum einen an meiner Unsicherheit. Als Philipp noch nicht mit anderen Frauen flirtete und sich nicht überall Bestätigung holte, sondern mich allein mit seiner Aufmerksamkeit überschüttete, waren trotzdem immer Zweifel in mir geblieben. Von Anfang an dachte ich, dieser tolle Mann würde irgendwann herausfinden, dass ich längst nicht so supertoll sei, wie er womöglich dachte. Ihn hatte ich auf einen Sockel gehoben – und wand mich gleichzeitig im Staub vor ihm. Ich bewunderte ihn und machte mich zugleich klein. So bemerkte ich überhaupt nicht, dass er durchaus auch seine Unsicherheiten hatte. Er war zwar ein interessanter Mann, aber im Innern nicht minder ein verletzter, geschundener, unreifer Junge. Vor allem war mir nicht klar, dass ich ebenso interessant, charmant und liebenswert war wie er. Philipp fand ich rundum großartig, aber alles an mir beurteilte ich als negativ: Ich war nicht wertvoll, nicht spannend, nicht gut aussehend, nicht lustig, nicht intelligent, nicht besonders. Obwohl er mich mit Komplimenten überhäufte: »Du siehst so hübsch aus, meine Maus« oder »Du hast so einen schönen Körper«, so antwortete ich ihm immer: »Danke, du bist echt lieb, aber ich muss wirklich noch drei Kilo abnehmen.« Wenn ich mir jetzt Fotos aus dieser Zeit ansehe, könnte ich heulen. Heute finde ich mich auf ihnen anziehend und auch sehr schlank. Ich hätte leicht mit mir zufrieden sein können.
    Der zweite Grund liegt in den schon erwähnten mangelnden Gemeinsamkeiten. Wir waren uns zwar in unseren Gefühlen sehr ähnlich, aber in grundsätzlichen Fragen doch sehr verschieden. Philipp wollte Kinder, ich einen Hund; Philipp fand seine Siebzig-Stunden-Wochen im Job okay, während ich sie hasste; er ließ Freundinnen auf seinem Schoß kuscheln und machte tausend andere Dinge, die ich furchtbar fand.
    Am auffälligsten war, dass ich in der Beziehung zu Björn eine ganz andere war als in der zu Philipp. Nie zuvor hatte ich mich so oft, so heftig und so lange mit jemandem gestritten wie mit meinem neuen Freund. Nie war ich vorher so eifersüchtig, so unsicher und so klammernd gewesen – und auch nicht so rasend wütend, so scharf, so verletzend und so gemein. Wir stritten, weil ich einerseits mit aller Macht versuchte, mich zu verbiegen, und es andererseits nicht konnte. Bereits in früheren Beziehungen hatte ich das getan, doch bei Philipp sprengte es jedes Maß. Wann immer er wollte, schlief ich mit ihm, ob ich nun Lust hatte oder nicht. Trotz aller Auseinandersetzungen versuchte ich, so zu sein, wie ich dachte, dass er mich haben wollte: unkompliziert, sexy und zufrieden mit der Rolle der zweiten Geige. Ich hätte alles getan, damit er sich nicht von mir trennte. Weil er mir als Erster gab, was mir immer gefehlt hatte, mütterliche, zärtliche Fürsorglichkeit. Ich liebte ihn. Brauchte ihn. Deshalb konnte ich mich nicht von ihm lösen. Das, was er an guten Tagen gab, hatte mir in meinem Leben so extrem gefehlt, dass ich darauf auf keinen Fall mehr verzichten konnte. Ohne ihn zu sein fühlte sich an wie sterben – mir war damals allerdings nicht bewusst, dass er die Trauer um meine Mutter ausgelöst hatte und ich eigentlich ohne sie nicht sein konnte. Es waren alte Gefühle aus der Zeit nach dem Tod meiner Mutter, die sich durch Philipps Fürsorge – manchmal sang er mir sogar Schlaflieder vor! – einen Weg in meine aktuelle emotionale Welt bahnten. Birgit sah meine Beziehung zu Philipp sehr kritisch. Ich wusste, was sie meinte, aber ich konnte es nicht ändern.
    Das Ende der Beziehung mit Philipp kam für mich einem Weltuntergang gleich. Anderthalb Jahre waren wir zusammen gewesen, ich war zweiunddreißig und arbeitete inzwischen als Redakteurin bei einer Segelzeitschrift. Die Trennung war der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es war die zweite Trennung innerhalb von zwei Jahren, und bei mir ging nichts mehr. Kopfüber stürzte ich in eine tiefe Depression. Es kostete mich Schweiß und Tränen, überhaupt wieder zur Arbeit zu gehen. Dort saß ich müde in meinem kleinen Eckbüro mit dem blauen Teppich und dem großformatigen Segel-Kalender des italienischen Fotografen Franco Pace an der Wand und schlug die Zeit tot. Ich blätterte mich durch Fachzeitschriften, sortierte meine Bücher im Regal neu, surfte

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