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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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später darum kümmern muss? Müsste ich nicht auf jeden Fall erst alle meine Schulden zurückzahlen? So grüble ich mich unter Hochdruck durch den Tag.
    Schon oft war ich sehr knapp davor, eine garantiert tödliche Überdosis zu nehmen. Ich glaube, ich habe es bisher nicht getan, weil es ein einsamer Akt ist. Wenn ich mir Robert Enke auf den Schienen vorstelle – schrecklich. Beim Sterben allein zu sein, das ist mit das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Also tröste ich mich am Ende des Tages, im Halbschlaf, mit dem Bild, dass ich unheilbar krank bin und alle an meinem Bett sitzen, während ich einschlafe. So müsste ich in diesem Moment nicht allein sein, wäre aber endlich erlöst. Eine berauschende Fantasie. Manchmal träume ich auch davon, dass der Chefarzt meiner Klinik mich tötet. Ich stelle mir dann vor, dass er mir eine Spritze setzt und damit endlich zugibt, dass mein Leid zu schwer ist, um damit zu leben. In meiner Vorstellung würde es ihm nicht viel ausmachen. Im Gegenteil, er würde mich ja erlösen. Meine Vorstellungen unterscheiden sich sehr von der Realität, immerhin weiß ich das.
    Weil mich die Gedanken des Für und Wider zerreißen, wünsche ich mir oft, ich wäre nie geboren. Wenn ich richtig verzweifelt bin, sehne ich mich nämlich so sehr nach meiner Mutter, dass ich es kaum aushalten kann. Ich sehne mich danach, getröstet, gewiegt und ins Bett gebracht zu werden. Ich könnte dann vor Schmerz laut schreien. Der Gedanke, dass ich, wäre ich nie geboren, nicht den Tod meiner Mutter hätte erleben müssen, erscheint mir ebenfalls wie eine Erlösung. Ich wünsche es mir dann so sehr, dass ich vor dem Einschlafen tief in diese Fantasie eintauche und mir ganz genau ausmale, was ich alles nicht erlebt hätte. Im Halbschlaf gehe ich nacheinander die lange Kette der traurigen Ereignisse in meinem Leben durch. Sie reicht bis heute, ein lebenslanger, zermürbender Kampf. Ich muss aushalten, dass ich kein geborgenes Elternhaus hatte. Dass sich meine erste große Liebe von mir getrennt hat. Auch die zweite. Dass ich, weil ich krank bin, schon mehrfach meinen Job verloren habe. Dass sich mittlerweile etliche Freunde von mir losgesagt haben. Dass ich nicht halb so viel leisten kann wie ein normaler Mensch. Dass ich deshalb finanziell nicht gut dastehe. Und so vieles mehr.
    Ich muss mich aushalten, aber das ist oft kaum möglich. Und ich bin es manchmal so leid, dass ich nur zu gern mein Leben dafür hergeben würde. Wenn ich es denn nur zurückgeben könnte.
    Manchmal packt mich aber auch die Wut. Was haben sich meine Eltern nur dabei gedacht, mich in die Welt zu setzen? Ich bin für niemanden existenziell wichtig. Und war es nie. Das ist mein ganzes Drama. Hätte ich doch nur eine Klagemauer. Eine Stelle, wo ich hingehen und mich beschweren könnte. Es ist nicht fair! Nicht gerecht! Und die Depressionen sind so was von überflüssig! Ihretwegen ist immer irgendetwas mit mir. Immer brauche ich was. Trost. Aufmerksamkeit. Geld. Unterstützung. Wann bin ich schon mal leicht und unbeschwert? Oder wenigstens: normal? Es gab bislang nicht ein einziges Jahr, in dem ich nur Alltagssorgen hatte. Nicht mal ein halbes. Was wäre mir alles ohne dieses Leben erspart geblieben.
    Ich hasse mein Leben. Ich wünschte, ich könnte daraus aussteigen. Oder es wenigstens zurückgeben. Immer muss ich bei mir sein, immer mit mir sein. Ich muss immer aushalten, was ich fühle. Meine Freunde können nach einem Treffen mit mir nach Hause gehen, sich wieder ihrem Leben zuwenden. Bei allem Mitgefühl können sie mich abschalten, ausschalten. Ich kann das nicht. Wenn ich wach bin, kommt natürlich das »Ja, aber«. Ich will ja leben. Manchmal. Ich habe eine schöne Wohnung. Bin körperlich einigermaßen gesund. Es gibt Menschen, die mich sehr gern haben. Die ich sehr liebe. Ich habe inzwischen ein gutes therapeutisches und medikamentöses Netz. Doch dann kann ich es kaum ertragen, dass meine Freunde so ein normales Leben haben und ich nicht. Alle machen Karriere, bekommen Kinder, kaufen Wohnungen oder bauen Häuser. Ja, auch Teile meines Lebens sind wirklich gut. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber ich würde all das sofort hergeben, um keine Depressionen und eine normale Familie zu haben. Wenn ich könnte, würde ich mich sofort selbst zur Adoption freigeben. Hin und wieder betrachte ich heimlich

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