Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
beschönigen zu wollen. Es ist dann ungeheuer erleichternd, wenn jemand den Ernst der Lage anerkennt. Manchmal gibt es keine Lösung â oder zumindest erst einmal keine. Es ist dann tröstlich, wenn jemand das mit einem erträgt, auch die Schwere der Situation oder sogar die Hoffnungslosigkeit. Es ist ermutigend, nicht allein zu sein mit dem ganzen Mist, es nicht alles die ganze Zeit allein aushalten zu müssen. Konkret heiÃt das, dass meine Freundin Wibke meine Hand hält, mich in den Arm nimmt und mit mir redet. Es hilft sehr, dass ich in schweren Phasen täglich mit Birgit telefonieren kann, manchmal mehrmals am Tag. Es tröstet mich, wenn Maren für mich Fischstäbchen brät und ich mit ihr und ihren Kindern zu Abend essen kann. Wenn Christine mich ins Kino einlädt oder ins Café. Wenn ich reden darf wie ein Wasserfall und Tessa mir eine Stunde lang ununterbrochen zuhört.
Was nie hilft, sind, wie gesagt, Sätze dieser Art: »Das wird schon wieder.« Oder: »Jeder hat mal einen schlechten Tag.« Sie bagatellisieren nur das Elend. Für mich klingen sie, als wolle jemand indirekt sagen: »Ist schon nicht so schlimm.« Ich empfinde mein Leid aber als schlimm, und es tut mir weh, wenn das nicht anerkannt, sondern abgewertet wird. Von anderen an einer Depression Erkrankten weià ich, dass es ihnen genauso geht. Wenn jemand sagt: »Kopf hoch«, ist das oft der Versuch, trösten zu wollen. Doch es tröstet nicht. Trost kann ich nur empfinden, wenn ich die Anerkennung erfahre, dass es schwer ist. Was immer hilft, ist, wenn einer meiner Freunde zu mir sagt: »Es tut mir leid, dass es dir so schlecht geht.« Oder: »Ich kann dich verstehen.« Oder: »Das ist aber auch traurig!« Ich kann spüren, dass die Anteilnahme ernst gemeint ist â und ich fühle mich dadurch tatsächlich getröstet.
Was ebenso hilft, ist jede weitere Form von Aufmerksamkeit. Wenn mich jemand umarmt und festhält. Wenn mir jemand zuhört und intensiv mit mir spricht. Wenn mir jemand eine E-Mail oder eine SMS schickt mit den Worten: »Ich denk an dich!« Wenn mich jemand an seinem Leben teilnehmen lässt. Wenn wir gemeinsam etwas unternehmen. Miteinander eine DVD ansehen finde ich genauso groÃartig, wie zusammen eine Pizza zuzubereiten. Ich bin wie ein Terrier: Ich will immer mit. Einmal musste ich Weihnachten in der Klinik zubringen. Ich habe mich riesig über die Pakete und Besuche gefreut, das hat mir den Aufenthalt viel leichter gemacht.
Ich kenne die Situation meiner Freunde nicht: Ich weià nicht, wie es ist, gesund zu sein und eine depressive Freundin zu haben. Daher habe ich zwei meiner Freundinnen gebeten, aufzuschreiben, wie sie die Freundschaft mit mir erleben. Wibke habe ich ausgesucht, weil sie so stabil ist. Egal was passiert, auf ihre Stärke kann ich mich verlassen. Sie kennt mich in besseren und schlechteren Phasen, zu Hause und in der Klinik. Was bislang auch immer geschehen ist, Wibke stand mir jedes Mal zur Seite. So eine Freundin wünsche ich jedem in der Not.
Meine depressive Freundin Heide
Von Wibke Hein, fünfunddreiÃig, kaufmännische Angestellte
Eine depressive Freundin zu haben ist eigentlich nicht viel anders, als eine nicht-depressive Freundin zu haben. Ich höre zu, wenn Heide über Probleme reden will, gebe Meinungen ab, wenn sie gefragt sind, bestärke sie, wenn sie unsicher ist, freue mich, sie zu treffen, und schätze es, wenn sie an meinem Leben interessiert ist. Vielleicht habe ich Glück mit meiner depressiven Freundin? Heide hat sicherlich existenziellere Probleme als andere und braucht vielleicht häufiger stärkende Worte oder länger ein offenes Ohr. Aber grundsätzlich gehört das doch ohnehin zu jeder Freundschaft dazu, und wer rechnet da schon groà nach?
Von Heide bekomme ich das Feedback, dass meine Einstellung zu Freundschaften und zum Leben nicht selbstverständlich ist. Ich finde aber, dass es eigentlich nichts Selbstverständlicheres gibt, als in einer Freundschaft füreinander da zu sein. Aber das gemeinsame Aushalten von schwierigen Situationen, das Anteilnehmen und Zuhören sind vielleicht total unterschätzte Komponenten. Ich muss mich manchmal selbst zügeln und meinen »blinden Aktionismus« etwas bremsen, wenn ich dem Impuls folgen will, etwas Konkretes, Sichtbares zu tun, wenn es Heide schlecht geht. Dabei ist es für mich viel
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