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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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sie keiner »rettet«. Bei dem Gedanken wird mir ziemlich mulmig, und ich hoffe, dass ich dann einen sechsten Sinn habe, vielleicht ihre Absichten telepathisch mitbekomme, um noch etwas tun zu können. Aber was? Zu ihr fahren? Den Notruf wählen? Sie ins Krankenhaus bringen? Ihr zuhören und ihren Wunsch respektieren? Ich weiß es nicht.
    Vielleicht vertraue ich zu sehr darauf, dass diese Situation nicht eintreten wird. Ich glaube einfach fest daran, dass sie es schaffen kann. Ich sehe sie nämlich in zwanzig Jahren vor mir sitzen, zufrieden mit ihrem Leben. Die Depressionen werden sicherlich immer eine schmerzhafte Erinnerung sein, aber im Nachhinein wird sie es leichter nehmen und sehr stolz auf sich sein, dass sie so lange durchgehalten und so intensiv an sich gearbeitet hat. Ich glaube, sie wird sich sehr für andere engagieren. Sie wird das ganze Wissen und ihre Erfahrung aus dieser Zeit nutzen und sie anderen zur Verfügung stellen. Damit auch die nicht ihre Hoffnung verlieren.
    Ich freue mich schon sehr auf diese Zeit.
    Mit meiner Freundin Tessa habe ich von 2003 bis 2005 zusammen volontiert, seitdem sind wir befreundet. Ich bat sie, etwas zu schreiben, weil ich mir vorstellen kann, dass sich viele so fühlen wie sie, wenn sie mit einer Freundin wie mir konfrontiert sind. Ich weiß, dass ich sie belaste, dass sie streckenweise unsicher ist und überfordert. Tessa hilft mir besonders durch ihre Empathie. Sie ist so mitfühlend, dass sie sich sofort im Klaren darüber ist, was ich brauche – und sie kann das auch aussprechen. Das ist Fluch und Segen zugleich: Tessa kann sich so gut einfühlen, dass ich mich total verstanden fühle. Sie ist dadurch aber auch so nah bei mir, dass es sie selbst belastet. Sie muss aufpassen, nicht selbst traurig und hoffnungslos zu werden.
    Gemeinsam aushalten
    Von Tessa Randau, siebenunddreißig, Journalistin
    Wenn mein Handy klingelt und ich auf dem Display sehe, dass Heide anruft, ist da immer ein Gefühl der Sorge. Geht es Heide wieder schlecht? Ist sie zu Hause oder ist sie in der Klinik? Das sind die Gedanken, die innerhalb vom Bruchteil einer Sekunde durch meinen Kopf schießen. Sorgen, die in unserer Freundschaft leider Alltag geworden sind.
    Als ich Heide kennenlernte, kam sie mir ausgesprochen tough vor. Gebildet, selbstbewusst, sportlich – das waren die Attribute, die ich ihr damals zuordnete. Zum ersten Mal gespürt, dass Heide krank ist, habe ich, als sie ihre neue Liebe traf. Philipp. Zunächst eine Affäre ohne feste Absichten, die immer mehr zu einer obsessiven Liebe wurde. Heide und ich gingen manchmal zusammen laufen. Und dann erzählte sie mir von Philipp. Wie unendlich tiefgehend ihre Gefühle seien, wie bereichernd ihre Gespräche, wie sehr sie jede Minute mit ihm genoss. Es klang nach Wolke sieben, und ich glaube, so war es zu diesem Zeitpunkt auch. Ich habe sie damals sehr beneidet, aber ganz tief in mir hegte ich auch erste Zweifel. Ist das noch normal? Kann eine Beziehung überhaupt über längere Zeit solch einen hohen Level halten? Oder muss nicht irgendwann der tiefe Fall kommen? Er kam.
    Heide hatte Philipp die Luft zum Atmen genommen, weil sie keine Grenzen kennt. Das ist zumindest meine Interpretation. Ich habe nie mit Philipp über seine Beweggründe gesprochen.
    Auf die Trennung folgte Heides erster Zusammenbruch. Ich war damals nicht mehr in Hamburg und habe ihn nur am Rande miterlebt. Habe die Schilderungen von Freundinnen gehört, die eine hysterisch schreiende Heide – die damit drohte, sich etwas anzutun – in die Notaufnahme brachten. Es war ein wahnsinniger Schock. So extrem hatte noch nie eine Freundin auf eine Trennung reagiert. Und doch kam es nicht völlig unerwartet.
    Beim ersten Mal hatte ich noch große Hoffnung. Heide braucht viel Zuwendung, und dann wird es irgendwann wieder. Vielleicht erst in sechs oder acht Monaten. Und in einem Jahr ist sie bestimmt wieder die Alte. So naiv war ich damals noch. Ich schrieb E-Mails, rief an – und wir verabredeten, dass Heide mir beim nächsten Treffen in Hamburg von ihrer Kindheit erzählt, über die ich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts wusste. Das haben wir dann auch gemacht. Und danach habe ich vieles besser verstanden. Philipp war Heides Ersatzdroge, für eine Familie, die sie nie hatte.
    Nach dem Gespräch ging es Heide schlecht, sie musste Beruhigungsmittel nehmen. Und auch ich habe

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