Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
Psychiater oder dem Psychotherapeuten vom Dienst immer möglich â ohne dass man deswegen gleich stationär bleiben muss. Dabei kann man einen Teil der seelischen Last loswerden und sich Rat holen, wie es am besten weitergehen kann. Für manche ist es auch befreiend, wenn sie hören: »Sie haben eine Depression, eine Krankheit, die auch auf einer Fehlfunktion Ihres Neurotransmittersystems im Gehirn beruht, die man aber gut mit Medikamenten behandeln kann.« Auch die Mitarbeiter der Telefonseelsorge sind therapeutisch geschult und rund um die Uhr erreichbar.
Wenn sich jemand partout nicht helfen lassen will, so sollte man nachfragen, was für ein Gefühl der Vorschlag, sich professionelle Hilfe zu holen, ausgelöst hat. Abweisung? Unverständnis? Angst, weggesperrt zu werden? Wenn diese Person sich plötzlich ganz anders verhält, ihre Stimmung sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen deutlich verbessert und sie ganz ruhig und gelassen wird, kann das ein Zeichen dafür sein, dass sie sich für den Tod entschieden hat und nun erleichtert ist, dass die Phase der Zerrissenheit endlich vorbei ist.
Wenn jemand ankündigt, später Tabletten nehmen oder sich die Pulsadern aufschneiden zu wollen, muss sofort gehandelt werden. In diesen Fällen ist es ratsam, den Notarzt und die Polizei zu rufen, auch wenn die Freundin vielleicht wütend wird und dieser Augenblick kaum auszuhalten ist. Die allermeisten wollen sich einige Wochen später nicht mehr umbringen â sodass die Betroffenen die Hilfeaktion nicht mehr übel nehmen, sondern, im Gegenteil, dankbar dafür sind. Man muss wissen, Suizide geschehen vorwiegend impulsiv, aus einem Affekt heraus. Ebenso muss man wissen: Eine Frau, die sich umbringt, will ihre Beziehungen kappen. Für Freunde und Verwandte ist es deshalb wichtig, gerade die Verbundenheit zu betonen. Wenn es möglich ist, sollte man all die scheinbaren Selbstverständlichkeiten sagen: »Du wirst geliebt und gebraucht. Du darfst nicht sterben, das wäre schrecklich.«
Bei länger andauernden depressiven Phasen sollte die Sorge um den anderen auf mehrere Schultern verteilt werden. Jeder muss darauf achten, wie viel er von dem Leid aushalten kann, wo die eigenen Grenzen sind. Dabei kann es sinnvoll sein, sich selbst Unterstützung zu holen, in der Familie, bei Freunden oder auch professionell.
Als Suizidgefährdete muss man sich ebenfalls über einiges klar werden. So lässt sich nicht alles mit Liebe heilen, was gerade Frauen oft genug glauben. Eine Depression ist auch nicht »nur« eine Form von Traurigkeit, die durch genügend Fürsorge wieder weggeht, es ist eine sehr ernst zu nehmende Krankheit.
Hilfe, wenn man mit dem Leben hadert
Noch ein weiteres Mal befrage ich Dr. Reinhard Lindner, Oberarzt für Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie im Albertinen-Haus in Hamburg, diesmal zum Thema Suizid.
Ich hadere mit meinem Leben, habe aber Angst vor der Psychiatrie. Wo finde ich Hilfe?
Beratungsstellen für Krisen gibt es bei den Kirchen â und die sind liberaler, als man denkt. Für die ganz akute Not ist die Telefonseelsorge rund um die Uhr erreichbar. AuÃerdem gibt es Angebote von gemeinnützigen Trägern.
Wie kann ich jemandem helfen, der nicht mehr leben will?
Was ich Angehörigen immer wieder sage: Es gibt Hilfe! Lassen Sie sich nicht in den hoffnungslosen Strudel des Suizidalen stürzen. Machen Sie sich schlau, welche Unterstützung es in Ihrer Nähe gibt. Und versuchen Sie, dem Betroffenen zu vermitteln, dass sein Problem vielleicht darin besteht, gut für sich zu sorgen.
Meine Freundin sagt: Am Sonntag bringe ich mich um. Wie reagiere ich?
Wenn Sie das Gefühl haben, das würde Ihnen das Herz brechen: Sprechen Sie es aus! Es ist sehr wertvoll, wenn es einen Menschen gibt, der nicht möchte, dass der andere stirbt. Drängen Sie auÃerdem darauf: »Hol dir Hilfe!« Wenn sich bis Samstagabend nichts verändert, rufen Sie die Polizei. Die Betroffenen kommen nicht immer direkt ins Krankenhaus, sondern in manchen Bundesländern erst zum psychiatrischen Notdienst. In jedem Fall kommt es erst einmal zu einem Gespräch mit einem Fachmann.
Aber folgt am Ende doch die Zwangseinweisung?
Nur im extremen Ausnahmefall! Und eine Zwangseinweisung heiÃt auch nicht, dass ein Mensch monatelang eingesperrt wird. Meistens werden Suizidgefährdete nicht lange festgehalten,
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