Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft
leichter, nichts zu tun und einfach nur den Schmerz mit auszuhalten. Es ist auch das, was Heide mir immer wieder zurückmeldet: Für sie ist es ungemein wichtig, dass ihre Freunde die Situation mit ihr zusammen durchstehen.
Sie legt viel Wert darauf, dass nicht nur ihre Freunde für sie da sind, sondern sie auch, soweit es ihr möglich ist, für ihre Freunde da ist. Vielleicht hat sie sogar einen besonderen Sinn dafür, wie wichtig es ist, Anteilnahme zu zeigen und Wertschätzung auszusprechen, weil sie selbst so viel davon braucht. Jedenfalls kann ich mich nicht beklagen, dass ich in dieser Freundschaft zu kurz komme.
Sicher, über den Gesprächen mit Heide liegt immer eine etwas dunklere Wolke als bei denen mit anderen, denn es sind schlieÃlich schwerwiegende Probleme, die mit ihr gewälzt werden. Es findet sich auch nicht für jedes Problem gleich eine Lösung. Doch fast jedes lässt sich analysieren und durch eine Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven, durch neue Fragestellungen, durch Segmentierung in kleinere Teilprobleme ein bisschen besser verstehen und manchmal sogar bewältigen.
Gut, vielleicht kann ich das so sehen, weil Heide schon einige Jahre in ihrer Depression steckt, eine Therapie macht und seit Langem sehr offen über ihre Krankheit redet. Ich habe mich wahrscheinlich schon sehr daran gewöhnt. Wenn ich jedoch zurückblicke, kann ich mich daran erinnern, dass es Momente gab, in denen ich mich sehr hilflos gefühlt habe. Dann, wenn ein weinendes Wrack bei mir auf dem Sofa saÃ, die Situation (meiner damaligen Ansicht nach) scheinbar ausweglos war, ich ein ungutes Gefühl hatte, sie mit ihrem Kummer alleinzulassen, in Sorge war, dass sie sich womöglich etwas antun könnte.
Heide schätzt eine neutrale Situation häufig nicht als eine solche ein, sondern geht immer vom Schlimmsten aus. Das ist zwar manchmal seltsam, aber ich verstehe, warum das so ist. Hat man sehr häufig erlebt, dass man von wichtigen Menschen verletzt, gedemütigt oder im Stich gelassen wird, muss es schwer sein, ein Urvertrauen zu haben. Traurig macht mich oft, dass es nicht möglich ist, meinen eigenen Optimismus einfach zu übertragen. Selbst wenn Heide rational versteht, dass A, B oder C mit gleicher Wahrscheinlichkeit eintreffen könnten wie ihre Worst-Case-Fantasie, es auch Menschen gibt, die ihr was Gutes und nichts Böses wollen, lässt sich der Pessimismus nicht einfach wegpusten. Dass ich die Krankheit nicht einfach ausknipsen kann, ist für mich das wohl gröÃte Problem in dieser Freundschaft.
Suizidgedanken
Jedes Mal war ich sehr erschrocken, wenn Heide mir ihre sehr konkreten Selbstmordgedanken mitteilte. In meiner heilen Welt hatte ich ausgeblendet, dass so etwas in meinem Umfeld passieren könnte. Aber durch Gespräche habe ich die Gründe dafür nachvollziehen können. Und ich kann verstehen, dass es für Heide diese Lösung gibt, wenn sie ihr Leben nicht mehr ertragen kann. Dazu muss ich mir aber Verletzungen aus meiner eigenen, sorglosen Kindheit vorstellen, um den Hauch einer Ahnung von dem Schmerz und der Verzweiflung zu bekommen, die sie empfindet, wenn sie es nicht mehr aushält.
Eigentlich hatte ich weder Angst, dass sie es wirklich tun würde, noch war ich sauer, dass sie den Suizid als legitime Lösung sieht. Ich habe nie wirklich daran geglaubt, dass sie den letzten Schritt gehen wird. Ich hoffe immer, dass doch noch alles gut wird. Vielleicht aus Selbstschutz, weil es für mich ein groÃer Schlag wäre, sie zu verlieren. Ohne wirklich zu wissen, wie ich reagieren würde, wenn sie es täte, habe ich das Gefühl, ich würde es akzeptieren, sehr um sie trauern, aber letztlich verstehen, dass sie alles versucht hat und keine Kraft mehr hatte.
Therapie
Ich bin froh, dass Heide hartnäckig ist und ihre Interessen so gut vertreten kann, denn sonst hätte sie wohl kaum die Therapie erhalten, die sie heute hat. Die jahrelangen Kämpfe um den richtigen Therapeuten und die richtigen Medikamente waren sehr aufreibend und sind es noch. Mich macht es wütend, dass es in unserem Gesundheitssystem so schwierig zu sein scheint, eine Therapie zu bekommen, wenn man sie braucht. Gerade jemand, der depressiv ist, hat meist nicht das Selbstbewusstsein und die Kraft, für die richtige Behandlung zu kämpfen.
Bei Heide ist es so, dass sie in ihrem Therapeuten auch die Elternrolle verkörpert
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