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Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft

Titel: Kalt erwischt - wie ich mit Depressionen lebe und was mir hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fuhljahn
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Jahren in einer Hamburger Klinik kennengelernt. Sie war zehn Jahre älter als ich und mit ihrem dunklen Pagenkopf, den blauen Augen und ihrer sportlichen Figur sehr attraktiv. Sie litt ebenfalls an Depressionen, dazu auch an einer Persönlichkeitsstörung. Wenn sie davon erzählte, wie sie sich fühlte, hatte ich immer das Gefühl, sie besonders gut zu verstehen. Doch der Weg, den sie wählte, um keinen Kontakt mehr mit mir zu haben, war mir fremd. Warum hatte sie nicht mit mir geredet, wo wir doch sonst immer alles ausgetauscht hatten? Und genauso fremd war mir ihr Begriff von Freundschaft. Für mich gehört zu einer Freundschaft, dass man in ihr auch über Probleme sprechen kann – wenn es denn nicht bei jedem Treffen vorkommt. Trauer und Schmerz sind nicht aus dem Leben auszuklammern. Doch Camille konnte das – indem sie sich von mir lossagte.
    Die schmerzhafteste Trennung war aber die von Claudia. Über zwei Jahre habe ich versucht, diese Freundschaft zu retten, doch am Ende ging es nicht mehr. Claudia hatte Sorge, dass ich ihre Zwillingssöhne Jan und Kai dazu »missbrauchen« könnte, meine Stimmung aufzuhellen. Sie dachte, ich könnte sie dazu benutzen, dass sie mich aufmuntern müssten. Das waren ernste Vorwürfe gewesen, und lange hatte ich mich gefragt, ob an ihnen etwas dran sein könnte. Unbewusst, denn mit Absicht hätte ich das auf keinen Fall getan.
    Ich war oft bei Claudia zu Besuch gewesen. Sie war alleinerziehend, und so spielte ich mit den Jungs, während sie kochte. Von Anfang an war ich hingerissen von Kai und Jan. Immer wenn ich mit ihnen zusammen war, schienen sie sich in meiner Nähe wohlzufühlen. So war ich auch extrem verletzt, dass Claudia mir zutraute, ich würde ihre Kinder auf diese Art und Weise »missbrauchen«. Typisch für mich: Ich wollte mit ihr darüber reden, ich hoffte, dass das etwas klären könnte. Einmal besuchte sie mich allein, und ich versuchte von ihr zu erfahren, was sie – außer der Sorge um ihre Söhne – gegen mich hatte.
    Â»Während ich dich treffe, ist alles gut. Aber wenn du dann weg bist, werde ich furchtbar wütend auf dich«, sagte sie.
    Â»Aber warum?«, fragte ich verzweifelt.
    Â»Ich weiß es nicht.«
    Â»Du lässt mich am ausgestreckten Arm verhungern«, bemerkte ich und weinte. »Wie soll ich etwas an meinem Verhalten ändern, wenn du mir nicht mal sagen kannst, was dich stört?«
    Claudia schwieg.
    Nach diesem Gespräch trafen wir uns nicht mehr – es schien sinnlos zu sein –, sondern tauschten nur noch E-Mails aus. Regelmäßig fragte ich nach, wo wir standen und wie es weitergehen würde. Claudia vertröstete mich so oft – »Ich habe gerade zu viel Stress im Job, um mich mit unserer Freundschaft zu beschäftigen« –, dass ich den Kontakt irgendwann abbrach. Nie wieder hat mich eine Freundin so verletzt wie sie. Heute kann ich verstehen, dass sie vielleicht Furcht davor hatte, dass ihre kleinen Söhne meine Depression nonverbal mitbekommen könnten. Deshalb habe ich Maren und Katrin gefragt, wie sie das sehen – denn mit ihren Kindern verbringe ich viel Zeit. Sie finden meinen Umgang mit ihnen vollkommen in Ordnung, darüber bin ich froh.
    Doch wenn sich diese drei Frauen auch von mir wegen meiner Krankheit getrennt haben, so sind das Ausnahmen. Insgesamt habe ich großes Glück gehabt, die anderen Freunde stehen fest zu mir. Ohne sie würde ich das alles nicht durchstehen. Und wenn sie nicht wären, hätte ich es definitiv nicht bis heute geschafft. Ich glaube, ein Grund, warum sie zu mir gehalten haben, liegt darin, dass wir miteinander reden können. Ich kann mit ihnen über das sprechen, was mich belastet. Sie können mit mir darüber sprechen, dass sie die Last manchmal kaum aushalten können. Wir muten uns einander zu – und halten das gemeinsam aus. Viele haben schon oft zu mir gesagt, dass sie sich hilflos fühlen. Dabei hilft mir jeder Einzelne so sehr! Ich empfinde die anderen überhaupt nicht als hilflos.
    Manche, so habe ich in Gesprächen erfahren, denken, es müsste eine viel praktischere Unterstützung sein, und sind erstaunt, dass es das gemeinsame Aushalten ist, was am meisten hilft. Wenn man den Job verliert, die Krankenkasse keine weitere Therapie bewilligt – manchmal ist die Situation einfach beschissen, und es bringt nichts, das

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