Kalt ist der Abendhauch
Toilette, kein Bad und keine Küche. Die Zimmer sind klein. Wenn ich nicht mehr da bin, kann meine Tochter das Haus abreißen und ein modernes hinbauen.«
»Das wäre aber schade!« kommt es wie aus einem Munde. Wahrscheinlich finden sie es romantisch, wenn die Mauern zerfallen, und nehmen an, daß ich nur wenig Geld zum
Renovieren hätte. Felix weiß allerdings, daß ich von Mielchen eine ganz hübsche Summe geerbt habe und nicht knausern muß. Aber was soll ich schon damit anstellen? Ich habe bei Gott keine großen Ansprüche mehr. Regine wird das Haus erben, Felix das Geld. Ulrich und Veronika haben zu deren Gunsten verzichtet, sie haben selbst genug.
»Hören Sie mal, Frau Schwab«, sagt der praktische Elektrostudent, »wir könnten doch zu Anfang eines der oberen Zimmer für Sie herrichten, Ihr Bett und ein paar Sachen hinauftragen und dann hier unten alles in einem Aufwasch in Ordnung bringen. Man könnte Ihnen die ganze Unordnung und Unruhe ersparen, wenn Sie ein wenig ab vom Schuß sind.«
Gerade das möchte ich aber nicht.
Felix hat noch ein Argument. »Und außerdem«, sagt er, »mußt du wissen, Oma, daß wir beim Arbeiten den Ghetto-Blaster ganz laut aufdrehen.« Da ich einen solchen Gegenstand nicht kenne, deuten vier Zeigefinger auf ein Ungetüm, das eventuell ein Radiorekorder sein könnte.
Der Elektriker heißt Max. Mit einem dicken Schraubenzieher stochert er Tapete und Putz von der Wand und legt einen Stecker frei. »Äußerst gefährlich«, sagt er, »man müßte dringend neue Kabel einziehen.«
»Wieso gefährlich? Solange ich noch am Leben bin, muß es halten.«
Die anderen hören mir gar nicht zu und starren an, was das Innere der Wand an bröckligen Drähten freigibt.
»Wenn's einen Kurzen gibt und du Pech hast, Oma, ist dein Häuschen in fünf Minuten abgefackelt«, erklärt Felix.
Er mache es mir billig, sagt Max, aber er müsse sich zuerst den Sicherungskasten ansehen. Ohne mich zu fragen, geht er mit Felix aus dem Zimmer.
Mir dämmert es leider um Sekunden zu spät, daß sie in den Keller gehen. Dort hat keiner außer mir etwas verloren, ich werde nervös. Soll ich lauthals protestieren? Vielleicht werden sie dann erst recht hellhörig. Nein, ich will natürlich nicht wie eine Hexe verbrennen, aber ich will auch nicht, daß fremde Menschen in meinem Haus herumschnüffeln, sonst hätte ich auch richtige Handwerker bestellen können. Mein Plan war, nur Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer herrichten zu lassen.
»Völlig desolat«, sagt Max, als er wieder hereinkommt, »chaotisch, lebensgefährlich, das kann man nicht verantworten.«
Felix, der gute Junge, sieht mein entsetztes Gesicht und kommt mir zu Hilfe. »Max, du übertreibst«, sagt er, »es hat fast nie einen Kurzschluß bei meiner Großmutter gegeben.«
Obgleich das leider nicht der Wahrheit entspricht, nicke ich heftig.
Schließlich fährt Felix mit seinem Freund davon, um Tapeten, Farbe und zwei Kästen mit Bier und Limonade zu kaufen. Die anderen vier tragen die Wohnzimmermöbel ins Schlafzimmer und achten darauf, daß mein Bett nicht zugebaut wird. Hulda wird im Schaukelstuhl zu mir in die Küche gesetzt.
Susi, die Freundin von Felix, sucht einen Putzeimer. Bei Huldas Anblick ruft sie: »Nein, was für irre Schuhe! Darf ich sie anprobieren?«
Zum Glück sind sie zu klein. Susi will kaum glauben, daß mein Vater sie geschustert hat. Ich frage, ob sie auch Maschinenbau studiere, denn heutzutage stehen den Frauen ja alle Berufe offen.
Nein, Architektur. Wann dieses Haus gebaut worden sei? »In den dreißiger Jahren? Also im Dritten Reich?« fragt sie überflüssigerweise.
Weil ihr die Neugierde im Gesicht geschrieben steht, sage ich ungefragt, daß ich persönlich weder in der Partei war, noch das Mutterkreuz erhalten habe. Über die Nazis in unserer Familie lasse ich mich nicht aus.
Susi lacht. »Felix hat mir viel von Ihnen erzählt, ich weiß, daß Sie der Star einer Friedensdemo waren!«
Also ist der Junge stolz auf mich, ich könnte Susi umarmen. »Wenn die Schuhe passen würden, hätte ich sie Ihnen überlassen«, sage ich großzügig.
»Nein, das hat keinen Zweck, aber vielleicht das Kleid?« Ohne lange zu fackeln, zieht sie erst Hulda, dann sich selbst aus. Sie trägt nur ein Höschen, ich wende mich diskret ab. Als sie in mein Jungmädchenkleid hineingeschlüpft ist, muß ich es ihr wirklich schenken, denn sie sieht bezaubernd aus. Für Hulda habe ich noch etwas sehr Hübsches, das werde ich aber jetzt
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