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Kalt, kaltes Herz

Kalt, kaltes Herz

Titel: Kalt, kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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ICH LIEBE DICH weggebrannt worden waren. Vielleicht hatte sie es angezündet, ins Zimmer geworfen und gehofft, das ganze Haus würde in Flammen aufgehen.
    Das Arbeitszimmer wirkte einigermaßen unversehrt. Nur Kathys Trixie-Beldon-Bücher lagen auf dem Boden verstreut. Die Hausbar im Art-déco-Stil stand offen, einer der verchromten Cognacschwenker fehlte. Ich entdeckte ihn auf dem Beistelltisch neben dem Ohrensessel und schnupperte daran. Er roch nach Gin. Kathy trank nur sehr selten Alkohol. Vielleicht waren ja ein paar kräftige Schlucke der Auslöser für ihren Tobsuchtsanfall gewesen. Auf dem Sessel lag der erste Band ihrer Trixie-Sammlung. Der Buchrücken war eingerissen, und als ich das Buch zur Hand nahm, öffnete es sich ganz von allein bei Kapitel 19. Ich fing an zu lesen:
    Trixie rieb sich wieder die Augen. Ein weißer Nebel waberte um das Dach der Villa, aber als Trixie näher hinsah, war er verschwunden. Doch bei einem neuerlichen Windstoß aus dem Tal stieg an einer Seite des Hauses ein fahl schimmerndes Gebilde auf ...
    Wie ein Gespenst, dachte sie mit einem ängstlichen Kichern. Wahrscheinlich liegt es nur am Mondlicht und daran, daß ich so müde bin. Sie wollte schon wieder zu Bett gehen, als es ihr einfiel und ihr Herz einen Satz machte ...
    »Das ist kein Gespenst!« schrie sie und eilte zurück zum Fenster. »Sondern Rauch ... Die Villa brennt!«
Ich schüttelte den Kopf. Angesichts des verkohlten Kissens und Kathys Lektüre konnte ich wirklich von Glück reden, daß das Haus noch stand. Ich fragte mich, wo sie gewesen war, als sie die Nerven verloren hatte – nicht körperlich, sondern psychisch. Hatte sie sich als erwachsene Frau, als Ärztin gefühlt, die ihr Leben im Griff hatte? Oder als Zwölfjährige, die hilflos mitansehen mußte, wie die Flammen ihre Schwester verschlangen?
    Ich hob ein paar der Bücher auf und stellte sie zurück ins Regal. Als ich mich wieder bückte, entdeckte ich ein zerknittertes Stück Papier am Fuß der Stehlampe und griff danach. Es war ein Blatt aus einem Schulheft mit rosafarbener Linierung, wie die Mädchen sie in meiner Schulzeit benutzt hatten. Die Handschrift wirkte ebenfalls kindlich – große, schräge Buchstaben mit Herzchen anstelle von I-Punkten und eine Unmenge Ausrufezeichen. Am gelblichen Falz erkannte ich, daß das Blatt vor langer Zeit zusammengefaltet worden war, vielleicht damit es in den Umschlag eines der Bücher paßte. Der Text lautete:
    Daddy
    Ich dachte, daß Du mich liebst! Aber Du liebst Blaire mehr als mich! Ich habe gesehen, wie Du heute nacht in ihr Zimmer gegangen bist. Ich habe lange überlegt, was der Grund sein könnte. Liegt es daran, daß ich jetzt meine Tage habe? Ich kann nichts dagegen tun! Es ist nicht meine Schuld! Warum werde ich dafür bestraft?
    Ich hasse sie!
    Bitte, gib mir noch eine Chance.
    In Liebe.
    Maus (weißt du noch?)
    PS: Blaire kann kein Geheimnis für sich behalten!
    Meine Hand zitterte. Ich sank in den Ohrensessel, legte das Blatt Papier auf den Beistelltisch und starrte durchs Fenster. Insgesamt hatte ich kaum zwölf Stunden mit Jack Singleton, Kathys Vater, verbracht. Er war ein recht gutaussehender, wenn auch etwas schmächtiger Mann, der in der Textilbranche ein Vermögen verdient hatte. Er stellte den dichtgewebten Stoff her, mit dem man Mäntel, Hosenbünde und manchmal auch Hemdkragen füttert. Ich hatte gewitzelt, daß man wohl nur in unserem großartigen Land mit einer Sache, an die der Verbraucher keinen Gedanken verschwendete – falls er überhaupt jemals davon gehört hatte –, reich werden konnte. Er hatte darüber gelacht, allerdings etwas gezwungen. Doch ich war froh gewesen, da er nur selten lachte. Vor unserer ersten Begegnung hatte Kathy mich gewarnt, er habe den Tod seiner jüngeren Tochter nie verwunden. Dies schien zu erklären, warum er Kathy so abweisend behandelte. Manche Eltern verhätscheln nach dem Tod eines Geschwisters das überlebende Kind. Andere ziehen sich zurück, als befürchteten sie einen weiteren Verlust, wenn sie ihre Liebe offen zeigen würden.
    Aber der wirkliche Hintergrund dieses Wechselspiels zwischen Nähe und Distanz war mir entgangen. Jack Singleton hatte seine Töchter auf die intimste Weise mißbraucht, die überhaupt möglich war. Vielleicht war er nicht sicher, ob Kathy sich an diese traumatische Erfahrung erinnerte oder sie verdrängt hatte. Und offenbar lag ihm auch nicht sehr viel daran, das herauszufinden.
    Ich schenkte mir einen Scotch ein und

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