Kalt, kaltes Herz
antust?«
»Absolut keine.«
»Null Prozent Wahrscheinlichkeit ?«
»Null.«
»In Ordnung.«
»War es das? Darf ich gehen?«
»Du bist ein freier Mann. Pears sagt, wir können dich nicht festhalten. Dein Urin- und dein Bluttest waren negativ, und du behauptest, daß du nicht vorhast, dich umzubringen. Also wäre alles erledigt.« Er zog eine Karte aus der Tasche seines Laborkittels. »Ich soll dir das hier geben.«
Ich nahm die Karte. Darauf stand Ted Pearsons Name in schlichten schwarzen Buchstaben und darunter seine Telephonnummer. Ich drehte die Karte um. Auf die Rückseite hatte er ein Rilke-Zitat geschrieben:
Jeder Schrecken braucht unsere Liebe.
Ich steckte die Karte ein.
»Noch sauer?« fragte Nels.
»Wird von Tag zu Tag besser«, antwortete ich.
Als ich in den Empfangsbereich kam, sah ich Elijah, der mit der Rezeptionistin flirtete, einer hübschen Blondine namens Jackie. Ich ging zu ihnen hinüber.
»Wenn das kein Grund zur Freude ist! Eines schönen Tages werden wir hoffentlich alle unsere Freiheit bekommen«, begrüßte mich Elijah mit dröhnender Stimme.
»Hallo, Frank«, sagte Jackie.
»Hallo.« Ich nickte ihr zu.
Sie legte den Kopf schief und musterte mich. »Wie schaffen Sie es nur immer wieder, sich in Schwierigkeiten zu bringen?« Elijah blickte zwischen uns hin und her. »Soll ich den Empfang übernehmen, damit ihr beiden euch in ein Behandlungszimmer zurückziehen könnt?«
Jackie kicherte.
Ich legte Elijah die Hand auf die breite Schulter. »Danke, daß Sie mir da drinnen geholfen haben. War wirklich nett von Ihnen.«
»Gern geschehen.«
»Da wäre noch was.«
»Schießen Sie los.«
Ich griff in die Jackentasche, holte mein Taschenmesser heraus und klappte es auf. »Sie haben mich nicht durchsucht, bevor Sie mich eingesperrt haben. Diesmal war es egal, aber der nächste Typ könnte Ihnen ein Auge ausstechen. Oder Ihnen sonst was Wichtiges abschneiden.« Ich warf einen vielsagenden Blick auf die Wölbung zwischen seinen Beinen. »Nur ein Tip, weil Sie sich solche Mühe gemacht haben.«
»Danke, werd ich mir merken.«
Ich stieß spielerisch mit dem Messer nach seinem Arm.
Er sah mich zweifelnd an. »Sind Sie wirklich sicher, daß Sie nicht doch entwischt sind?«
»Mit knapper Not.«
Wir schüttelten uns die Hand.
»Wo wollen sie jetzt hin?« fragte er.
»Rauf in die Gynäkologie.«
Er kicherte. »Und ausgerechnet Sie sagen mir, ich soll besser aufpassen.«
Kathy war nicht in ihrem Büro. Kris, ihre Sekretärin, informierte mich, sie sei zu spät gekommen und sofort in den Kreißsaal gegangen. Ich fuhr mit dem Personalaufzug zwei Stockwerke höher in den Aufenthaltsraum der Ärzte. Niemand war da, aber Kathys schwarze Ledertasche stand vor ihrem Spind. Hinter einer Doppeltür lag der Beobachtungsraum, von dem aus man den Kreißsaal im Blick hatte. Da kein Licht brannte, tastete ich mich an den Sitzen am Mittelgang entlang bis nach vorne zu der schräg zulaufenden Glasscheibe.
Offenbar war das Ärzteteam mit einem schwierigen Fall beschäftigt. Normalerweise döste der Anästhesist auf seinem Stuhl vor sich hin, doch heute stand er da und überprüfte die Ventile. Die OP-Schwester legte hektisch verschiedene Instrumente auf einem Tablett neben der Patientin aus. Kathy, die zwischen den Beinen der Frau gestanden hatte, trat nun zur Seite.
Ich betrachtete den nackten Unterleib der Bewußtlosen und dann Kathy, die ihr den Bauch mit Betadine einrieb. Die rubinrote Flüssigkeit breitete sich aus und rann der Frau zwischen den Schenkeln hinab. Als Psychotherapeut hatte ich mich in meinem Element gefühlt, wenn ich mich bemühte, den Heilungsprozeß voranzutreiben. Geduldig hatte ich monate- oder gar jahrelang die Wahrheit aus meinen Patienten herausgelockt. Meine Behandlungsziele waren subjektiv, die Genesung war häufig Ansichtssache. Kathys Arbeit hingegen hatte etwas Eindeutiges: Sie half, neues Leben zu gebären, wenn der Zeitpunkt der Entbindung da war, und setzte dazu alle nötigen Mittel ein. Bereitete es ihr deshalb keine Probleme, sich derart heftig in mein Leben einzumischen?
Der Anästhesist arbeitete nun schneller. Seine OP-Maske wölbte sich, als er ängstliche Worte hervorstieß. Ich dachte wieder an Kathys Schwester, die bei dem Brand umgekommen war, der auch das Zuhause der Familie zerstört hatte. Gab es ein Drama, das sich besser mit der Szene vergleichen ließ, deren Zeuge ich nun wurde? Ein Kind schwebte in Gefahr, war wahrscheinlich im Begriff zu
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