Kalt, kaltes Herz
Hirn zuzunebeln.«
»Nein, nein, ich bin völlig klar im Kopf.« Ich legte auf.
Dann saß ich da und schaukelte langsam hin und her. Wie gerne hätte ich geweint, aber ich konnte es nicht, was die Leere in mir noch schlimmer machte. Tot. Das war das Gefühl, das Menschen dazu bringt, sich selbst zu verstümmeln, um das schwarze Vakuum der Seele mit dicker, roter Flüssigkeit zu füllen. Ich ging zur Hausbar, nahm eine verchromte Flasche und kippte einen ordentlichen Schluck des Inhalts herunter, der sich als Bourbon entpuppte. Dann schleuderte ich die Flasche gegen die Wand. Ich ekelte mich vor mir selbst, weil ich meine Trauer betäuben wollte. Da ich mich noch immer nicht besser fühlte, packte ich die Bar mit beiden Händen und kippte das ganze Ding um. Flaschen und Gläser fielen krachend zu Boden. Ein halbes Dutzend Alkoholbäche rann ineinander und versickerte schließlich in den bunten Farben des Perserteppichs. Mein Magen rebellierte gegen den Bourbon; ich kauerte mich hin und erbrach mich, sank auf die Seite und landete mit dem Gesicht in einer Pfütze, die wie ein scheußlich schmeckendes Medikament roch. Eine Glasscherbe lag in meiner Reichweite. Einen Moment lang erwog ich, sie zu benutzen, aber dann dachte ich plötzlich nur noch daran, wie friedlich Rachel heute morgen im Bett gelegen hatte.
Ich konzentrierte mich ganz fest auf sie und stellte mir vor, wie ich ihr sagte, daß ich sie liebe.
16
Eine kalte Schweißschicht, zu dünn, um sie mit den Fingern zu ertasten, bedeckte mein Gesicht und meinen Hals. Im Arbeitszimmer stank es nach Bourbon und Erbrochenem. Den Telephonhörer am Ohr, wartete ich darauf, daß Kathy sich meldete, die ich gerade im Stonehill Hospital hatte anpiepsen lassen. Ich wußte, daß sie die Telephonistin nach dem Namen des Anrufers fragen und sich dann weigern konnte, das Gespräch anzunehmen. Aber ein siebter Sinn sagte mir, daß sie mit mir reden wollte, ja, es regelrecht brauchte. Kurz darauf war die Telephonistin wieder am Apparat.
»Sie nimmt nicht ab, Doktor Clevenger. Möchten Sie es weiter ... Ach, da ist sie ja. Einen Moment bitte.« Nun standen mir Schweißtropfen auf der Stirn, und ich wischte sie mit dem Ärmel weg. In mir wühlten Trauer, Haß und Mitleid, und ich wußte nicht, ob es mir gelingen würde, mich zu beherrschen. Doch es mußte sein. »Ich verbinde«, flötete die Telephonistin.
Es klickte in der Leitung, das Besetztzeichen war zu hören, dann ... Schweigen.
»Kathy?«
»Was ist?« entgegnete sie tonlos.
Ich schaffte es nicht, ruhig zu atmen.
»Hast du mir was zu sagen?« Sie ließ mir keine Zeit für eine Antwort. »Tschüs.«
»Warte!« Ich beschloß, ihr meine Erregung zu erklären, um ihr keine Gelegenheit zu Interpretationen zu geben. Allerdings wollte ich sie im ungewissen darüber lassen, ob ich bereits von Rachels Tod erfahren hatte. »Mir geht es ziemlich dreckig. Meine Hände zittern, und mein Herz klopft wie verrückt.«
»Klingt, als hättest du zuviel Koks erwischt. Trink doch noch einen.«
»Ich hab das Zeug nicht angerührt.«
»Dann liegt es vielleicht an deinem anstrengenden Liebesleben. Das hält der stärkste Mann nicht aus.«
»Nein. Ich ... ich habe Angst.«
»Öfter mal was Neues.«
»Ich ertrage den Gedanken nicht, daß du nicht mehr bei mir bist.«
Schweigen.
»Kathy?«
»Gestern nacht bist du ganz gut ohne mich zurechtgekommen.«
Ich wußte, daß ich die Verteidigungsmechanismen, die Kathy sich als erwachsene Frau zugelegt hatte, nur auf eine Weise durchbrechen konnte: Ich mußte mitten in ihre ursprüngliche, kindliche Wut und ihre Sehnsüchte hineinstoßen. Der Brief an ihren Vater kam mir in den Sinn, und ich gab ihr die Antwort, die sie sich vermutlich von ihm erhofft hatte. »Ich habe die Heimlichkeiten satt«, meinte ich. »Ich bitte dich, mir noch eine Chance zu geben. Es wird nicht wieder vorkommen.«
»Dann verrate mir eines: Warum hast du mich betrogen? Sie war jünger als ich. War sie auch besser ?«
»Sie war wie ein Kind. Sie wußte nicht, was sie tat.«
»0 doch. Schließlich war sie kein Baby mehr. Wenigstens nicht mehr als die anderen.« Kathys Stimme klang nun weniger schneidend, ihr Ton erinnerte eher an ein schmollendes kleines Mädchen. »Die haben versucht, mir etwas wegzunehmen.«
Mir traten die Tränen in die Augen, aber ich zwang mich weiterzumachen. »Sie bedeutet mir nichts. Du bist die einzige Frau, mit der ich ins Bett will.«
»Ich habe das Haus verwüstet.«
»Du warst
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