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Kalt, kaltes Herz

Kalt, kaltes Herz

Titel: Kalt, kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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anderen. Mir schauderte, als mir klarwurde, wie leicht Lucas mich treffen konnte, indem er Kathy Schmerzen zufügte. Aber etwas war noch schlimmer: Da ich ihn in Freiheit ließ, wünschte ich mir möglicherweise unbewußt, er würde Kathy wehtun. Wollte ich insgeheim erreichen, daß er sie umbrachte? Verspürte ich vielleicht die gleiche Wut auf Frauen wie er, nur daß ich sie nicht auslebte?
    Ich lenkte den Rover wieder auf die Standspur und wartete. Bei der ersten Gelegenheit wendete ich und fuhr zurück zum Polizeipräsidium von Lynn.
    Emma Hancock war nicht in ihrem Büro. Mark Meehan, einer der Beamten, der vor ihrem Zimmer an seinem Schreibtisch saß, sagte, sie sei am Schießstand.
    »Macht sie das regelmäßig? Ich meine, mitten am Tag?« fragte ich.
    »Nein«, erwiderte Meehan. »Sie übt normalerweise morgens bei Dienstanfang, wenn sie aus der Kirche kommt. Aber heute meinte sie, sie könnte noch eine Stunde gebrauchen.«
    Ich ging durch das Gebäude zu der Eisentür, auf der die Umrisse eines menschlichen Torsos aufgezeichnet waren, und trat ein. Emma Hancock war allein in dem länglichen Raum. Sie trug Sicherheitsbrille und Ohrenschutz, stand in der letzten der etwa zwölf Buchsen und starrte reglos geradeaus. Die Arme hatte sie ausgestreckt, und ihre Hände umschlossen einen Revolver. Kurz sah sie zu mir herüber, dann konzentrierte sie sich wieder auf die Scheibe. Etwa fünfzehn Meter vor ihr hing das Ziel aus Papier. Ohne Vorwarnung detonierten drei Schüsse. Sie hallten so laut durch den Raum, daß ich zusammenfuhr und mir die Ohren zuhalten mußte. Im Brustraum der Zielfigur klafften drei Löcher. Emma rührte sich nicht; sie hielt die Arme weiter nach vorn gestreckt. Ich trat auf sie zu. Plötzlich wandte sie sich zu mir um und richtete die Waffe auf mich. Ich erstarrte. Sie sah mir in die Augen. Ich lächelte sie an, aber sie verzog keine Miene. Nichts deutete darauf hin, daß sie mich erkannt hatte. Am liebsten hätte ich mich hinter die Trennwand eines der Schießstände geflüchtet, doch mir war klar, daß mich ihre Kugel trotzdem treffen würde. So blieb ich stehen, ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Meine Angst war so übermächtig, daß ich seltsamerweise ganz ruhig wurde. »Emma«, stieß ich hervor, »ich bin's, Frank.«
    Sie schien verwirrt.
    »Legen Sie die Waffe weg«, sagte ich leise.
    Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Ein gezwungenes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und verschwand dann wieder. »Du meine Güte«, sagte sie. »Sie dachten doch nicht etwa, ich würde schießen!« Ich schluckte mühsam. »Sie haben auf meinen Kopf gezielt. Mir ist ein bißchen mulmig geworden.« Sie nahm Brille und Ohrenschutz ab und betrachtete die Waffe in ihrer Hand. »Ich habe mir vorgestellt, wie es ist, wenn ich die Welt von dem Teufel befreie, der Monique auf dem Gewissen hat.« Sie schleuderte den Revolver vor sich auf die Theke. »Ich habe es satt, Löcher in Pappkameraden zu schießen. Es treibt mich in den Wahnsinn.«
    »Und da haben Sie gedacht, ich würde mit Freuden als Ersatz einspringen!« Ich trat auf sie zu.
    »Tut mir leid. In den letzten Tagen bin ich nicht ganz auf der Höhe.« Sie schwieg. »Geht's wieder?«
    »Einigermaßen.« Ich schüttelte den Kopf, als ich an die Mischung aus panischer Angst und tiefer Ruhe dachte, die mich überkommen hatte.
    »Sie haben es gespürt.«
    »Was?«
    »Den Frieden an der Himmelspforte.«
    »Wenn Sie's so nennen wollen.«
    »Ja, das will ich. Ich habe öfter in den Lauf einer Waffe geblickt, als ich denken kann, und jedesmal stellte sich dieses Gefühl ein.« Gedankenverloren senkte sie den Blick. »Das habe ich sogar schon als kleines Mädchen gespürt.«
    »Als kleines Mädchen? Hat man auf Sie geschossen?«
    »Nein.« Sie sah wieder auf. »Ich hatte die Hodgin'sche Krankheit.«
    Ich schwieg.
    »Normalerweise versuche ich, nicht daran zu denken. Doch in den letzten Tagen schaffe ich das nicht. Dann wache ich auf, manchmal um ein oder zwei Uhr nachts, und fühle mich in diese Zeit zurückversetzt.«
    Ich hörte ihr zu. Endlich verstand ich, warum Emma Hancock so zurückgezogen lebte. Ein Kind, das sich damit auseinandersetzen muß, alles zu verlieren, hat als Erwachsener Schwierigkeiten, sich überhaupt auf etwas einzulassen – außer auf Gebete.
    »Bei der Chemotherapie fielen mir die Haare aus. Ich hatte so große Geschwüre im Mund, daß ich keinen Bissen mehr herunterbrachte. Doch ich hatte sowieso keinen Appetit. Aber

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