Kalt, kaltes Herz
wissen Sie, was am schlimmsten war? Ich konnte die Bedrohung nicht fassen. Sie war unsichtbar. Sie wollte sich nicht auf einen fairen Kampf einlassen.«
»Und deshalb jagen Sie jetzt Mörder und bringen sie hinter Gitter.« Innerlich zuckte ich zusammen. Schon wieder hatte ich die Lebensgeschichte eines anderen Menschen auf eine Schlagzeile reduziert.
»So habe ich das bisher noch nicht betrachtet.« Auf ihren Lippen zeichnete sich das scheue, ungläubige Lächeln ab, das ich von meinen Therapiepatienten kenne, wenn sie die Wahrheit begreifen.
»Ich hoffe, Monique hat es auch gespürt?«
»Was?«
»Den Frieden an der Himmelspforte.«
»Ich bete darum.«
Schweigend standen wir einen Moment lang da. »Ich wollte mit Ihnen über den Fall sprechen«, sagte ich schließlich. »Haben Sie was Neues?«
»Ja, allerhand. Ich weiß nur noch nicht, wie es zusammen paßt.«
»Dann schießen Sie mal los.«
»Es betrifft die Umstände. Stichhaltige Beweise habe ich nicht.«
»Das kann ich besser beurteilen als Sie.« Ich teilte ihr mit, was ich wußte, erzählte ihr, daß Lucas kurz vor ihrem Tode mit Monique zusammen gewesen war, von seiner Abmachung mit Mercury, von den Implantaten, sogar von den Prozessen gegen Dow Corning. Ich berichtete ihr auch, daß Lucas mit Kathy schlief und ich Angst um sie hatte. Emma kniff die Augen zusammen und ließ die Nägel klicken. »Es gibt einige Dinge, die nicht ins Bild passen«, warnte ich sie.
»Was zum Beispiel?«
»Lucas hat mir ...« Ich wich ihrem Blick aus.
»Los, spucken Sie's aus!«
»Er hat mir den Ring gezeigt, den Monique in ... im Intimbereich trug. Er hat gesagt, er ...«
»So reden Sie schon, verdammt noch mal!«
»Er hat ihn ihr ausgerissen, als er mit ihr im Auto rumgemacht hat.«
»Rausgerissen. Da unten?«
Ich nickte.
Emma nahm den Revolver und lud die Kammern, die sie gerade geleert hatte.
»Was hat das wohl zu bedeuten, Emma? Warum sollte mir Lucas ein Beweisstück zeigen, wenn er sie umgebracht hat?«
»Da gibt es viele Gründe, Frank. Warum hat sich der Una-Bomber mit den Zeitungen in Verbindung gesetzt? Warum hinterläßt ein Serienmörder Botschaften?«
»Es gibt aber noch andere offene Fragen.«
»Und die wären?«
»Ich begreife nicht, weshalb jemand, der Frauen gegen Bezahlung aufschneidet, plötzlich außerhalb des OPs das Messer schwingt und damit lebenslängliche Haft riskiert. Selbst die Schadensersatzprozesse bieten dafür keine ausreichende Erklärung. Lucas schwimmt dermaßen in Geld, daß er durchaus ein paar saftige Niederlagen einstecken könnte, ohne daß es ihn ruiniert. Es gibt kein eindeutiges Motiv.«
Emma ließ den Lauf der Waffe einrasten und streckte sie mir entgegen.
»Was soll das?«
»Nehmen Sie! Ich will Ihnen was zeigen.«
»Ich will nicht.«
»Nehmen Sie! Es dauert nicht lange.«
Ich ließ mir den Revolver geben. Noch nie zuvor hatte ich eine Waffe in der Hand gehalten. Sie fühlte sich besser an, als ich gedacht hatte; wie für mich gemacht, schmiegten sich Griff und Abzug in meine Hand. Ich konnte den Blick nicht davon lösen.
Plötzlich packte Emma meine Hand mit der Waffe und preßte sich den Lauf an die Brust. Mit dem Daumen drückte sie auf meinen Finger, der am Abzug lag.
Ich erstarrte. »Was, zum Teufel ... ?«
»Sie könnten dafür sorgen, daß alles für mich ein Ende hat.« Mir brach der Schweiß aus.
»Ihr Freund Levitsky wäre nicht mal mehr in der Lage, mein Herz von den Eingeweiden zu trennen.«
»Emma ...«
Mein Puls raste. Ich stellte mir den Rückstoß vor, wenn der Schuß losging, malte mir aus, wie Emma blutüberströmt nach hinten taumelte. Es war meine Entscheidung, wann sie ihren letzten Atemzug tat.
»Es steht Ihnen ins Gesicht geschrieben. jetzt fühlen Sie sich als Herr über Leben und Tod, so wie ich vorhin, als Sie in den Raum kamen. Wenn Sie noch ein bißchen fester zudrücken, ist es aus und vorbei mit mir. Von mir bleibt nichts weiter als ein Nachruf in der Zeitung von morgen, eine halbe Seite lang.«
Ich sah ihr direkt in die Augen. Dann erhöhte ich den Druck auf den Abzug ganz leicht, um das Gefühl noch ein wenig auszukosten. Doch im gleichen Augenblick drückte Emma Hancock den Abzug mit aller Kraft durch. In diesem Sekundenbruchteil schien jede Nervenzelle meines Körpers Adrenalin in die Blutbahn abzugeben, und ich erlebte ein Hoch, gegen das mir Kokain vorkam wie Muckefuck. Ich machte mich auf den Knall gefaßt, aber dann hörte ich nur ein metallisches Klicken.
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