Kalt kommt der Tod (German Edition)
Fischsoße, so aßen die armen Leute.
Dann kam eine weitere Nacht, jene, in der Phong von seiner Mutter geweckt wurde. Warum weint sie denn?, dachte er.
Sie zog ihn an, stopfte ihm Reisplätzchen in die Tasche und drückte ihn ganz fest an sich. Sie erklärte ihm, er müsse jetzt mit seinem Cousin und seiner Cousine fortgehen. Duc und Duyen würden auf ihn aufpassen und sich um ihn kümmern. Alles würde gut werden, er müsse nur bei ihnen bleiben, niemand werde ihm etwas tun. Sie werde immer an ihn denken, versprach sie ihm, doch jetzt sei die Zeit für den Abschied gekommen.
Das letzte Bild, das Phong von seiner Mutter mitnahm, war das, wie sie sich schluchzend von ihm abwandte und zurück in die Hütte eilte.
Phong weinte auch.
Duc und Duyen nahmen ihn bei der Hand, und so schlichen sie aus dem Dorf.
Die Hai long dümpelte flussabwärts von Can Tho an einem geheimen Steg. Phong, Duc und Duyen gingen als letzte Passagiere an Bord. Die Leinen wurden losgemacht, das Boot tuckerte leise auf den Mekong hinaus, erst in der Flussmitte drehte der Kapitän den Motor auf volle Fahrt.
Die Hai long kämpfte bereits gegen die Wellen an, die vom Meer her in die Mündung des Mekong drückten, so weit waren sie schon gekommen, als sie von einem Patrouillenboot entdeckt wurden. Ein Bordscheinwerfer irrte durch die Nacht und heftete sich auf das Boot.
Schüsse fielen. Granaten wurden abgefeuert, sie schlugen in unmittelbarer Nähe der Hai long ein und jagten gewaltige Wasserfontänen in die Höhe.
Eine Viertelstunde dauerte der Angriff, ehe der Kapitän dem Patrouillenboot und seinen suchenden Lichtern mit einem waghalsigen Manöver in Ufernähe in die Dunkelheit entkommen konnte.
Stunden später, endlich, erreichten sie das offene Meer. Ein tosender Sturm war das Begrüßungskomitee.
Der Morgen verging. Der Sturm gewann weiter an Kraft. Eine riesige Welle rollte über das Boot und riss einen der drei Männer, die die Hai long am Ruder auf Kurs hielten, in die See.
Die Menschen suchten Zuflucht in christlichen und buddhistischen Gebeten. Sie beteten laut. Weil das kleine Mädchen neben ihm weinte, weinte auch Phong. Noch heute schmeckte er das Salz des Meeres und seine Tränen auf den Lippen, wenn er an damals dachte. Damals war heute.
Die Dämmerung setzte ein. Mittlerweile hatten sie das Hoheitsgebiet von Vietnam verlassen und befuhren nun ungefährliche Gewässer. Als die Sonne aufging, ließ der Sturm nach. Die Situation entspannte sich, die Menschen an Bord schöpften wieder Hoffnung.
Ein Gaskocher wurde angezündet, alle freuten sich auf das warme Essen: Reis mit Gemüse, Tütensuppen, viel mehr hatten sie nicht mitnehmen können.
Alles würde gut werden.
Wurde es aber nicht.
Es wurde schlimmer.
Tagelang trieben sie auf dem Meer. Kein anderes Boot oder Schiff in Sicht. Nur einmal, am frühen Morgen des zwölften Tages, blinkten Lichter in der Ferne. Vielleicht ein Containerschiff auf dem Weg nach Yokohama oder Rotterdam, niemand wusste, in welche Richtung das Licht fuhr. Nach einer Weile sah es aus, als würde es in die Dämmerung gesaugt.
Tagsüber verbrannte die Sonne ihnen die Haut, nachts zitterten sie vor Kälte und Erschöpfung.
Hunger, Durchfall, Langeweile und Verzweiflung wurden ihre ständigen Begleiter. Inzwischen steckten die Menschen auf der Hai long voller Krankheiten und waren völlig verdreckt. Die endlosen Tage und Nächte auf dem Wasser brauchten ihre letzten Reserven restlos auf.
Die unbarmherzige Sonne versengte Phong das rechte Ohrläppchen. Am nächsten Tag entzündete sich die Stelle, am übernächsten Tag war sie blutverkrustet. Es wurde schlimmer und tat ihm höllisch weh. Obwohl er versuchte, tapfer zu sein, jammerte er ständig und konnte nichts dagegen tun.
In der folgenden Nacht riss ihn ein jäher Schmerz aus dem Schlaf. Einer der Alten, dem sein Wimmern auf die Nerven ging, hatte mit einem rostigen Messer das kaputte Stück des Ohrläppchens abgeschnitten und mit einem Fetzen seines T-Shirts notdürftig verbunden.
Warum auch immer, die Operation verlief erfolgreich, der Wundschmerz wurde erträglich und ließ schließlich ganz nach.
Tag fünfzehn.
Seit zwei Tagen gab es kein Wasser mehr. Bei einigen Flüchtlingen platzten die ausgedörrten Lippen auf. Der Kapitän sagte, sie dürften auf keinen Fall vom Meerwasser trinken, es werde jeden umbringen, der es versuche.
Zu essen hatten sie schon lange nichts mehr.
Eine alte Frau hielt den Durst nicht aus. Wenige Stunden
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