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Kalt kommt der Tod (German Edition)

Kalt kommt der Tod (German Edition)

Titel: Kalt kommt der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Sprado
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bezahlte und gab ein großzügiges Trinkgeld.
    »Im Hudson Club ist bestimmt noch was los«, sagte die Kellnerin. Es klang wie: Hier ist euer Wechselgeld.
    Es hatte aufgehört zu schneien. Das Licht in einigen Schaufenstern war bereits erloschen.
    »Und was mach ich nun mit dir?«, fragte Jenna.
    »Wenn du den Rest der Geschichte hören willst, hast du wohl kaum eine Wahl.«
    Er lächelte, nicht weil er ein Bett brauchte, sondern weil sie ihn ehrlich betrübt ansah.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das will«, sagte Jenna. »Wird es noch schlimmer?«
    »Wie man’s nimmt.«
    »Was kann denn außer dem, was heute Abend passiert ist, und dem, was du mir über Vietnam und deine abenteuerliche Flucht erzählt hast, sonst noch kommen?«
    »Nicht ein bisschen neugierig?«
    Sie hakte sich bei ihm unter. Das war nicht der Alkohol, das war zwingende Notwendigkeit.
    »Klingt«, sagte sie, »als ob ich einen wunden Punkt berührt hätte.«
    Jennas Wohnung lag im neunten Stock eines Hochhauses am Rembertiring mit Blick über die Dächer der Altstadt bis rüber zum Dom. Sie war klein, aber edel und geschmackvoll eingerichtet, beinahe alles in Weiß: Schränke, Vorhänge, Tische, die Bücherregale. Weiß.
    Mit von der Partie war ein freundlicher Kater namens Hector, der sich auf einem Kissen unter dem Fenster zusammengerollt hatte.
    Hector war neun Jahre alt, weshalb er alles misstrauisch betrachtete, was neu war. Packer war neu, deshalb sprang Hector vom Sofa und machte einen Buckel. Einmal fauchte er sogar.
    »Keine Sorge«, sagte Jenna, »er tut nur so, als sei er ein großer Kater.«
    Hector kam näher, strich um Packers Beine, hob den Kopf, sah ihn an und legte seine Schnauze auf Packers Schuhe.
    »Hab ich mir gedacht«, sagte Jenna lächelnd. »Zwei Außenseiter erkennen sich immer.«
    Im Zimmer war es fast dunkel. Das einzige Licht kam von der erleuchteten nächtlichen Stadt da draußen.
    Jenna bemerkte seinen schweifenden Blick.
    »In Longyearbyen musste ich mir ein Zimmer mit einer Waliserin teilen, die für Prinz Johann von Holland schwärmte und ein Faible für Schwarz hatte. Ihre Kleidung war schwarz, die Bilder, die sie über ihrem Bett aufhängte, waren schwarz, nur ihr Humor war es nicht.«
    Sie zeigte ihm das Sofa, auf dem er schlafen konnte, ein italienisches Designerstück, bezogen mit rotem Chintz. Sie holte ihm ein Kopfkissen und eine Wolldecke.
    »Tee, Wein?«, fragte sie.
    »Espresso?«
    Aus der Küche, wo sie an der Kaffeemaschine hantierte, rief sie: »Was passierte, als die Piraten weg waren?«
    Während Packer auf dem Sofa saß und die Augen schloss, fiel ihm alles wieder ein. Manchmal kamen eine Menge Erinnerungen und sahen einen an. Die Erinnerung, der tödliche Krebs der Emigranten, ist immer da.
    17
    Am sechzehnten Tag wurde die Hai long von einem Fischerboot entdeckt. Die Mannschaft nahm die völlig entkräfteten Flüchtlinge an Bord und schleppte den Seelenverkäufer in ihren Heimathafen, der keine halbe Stunde entfernt lag. So nah waren sie dem Festland gewesen, ohne es zu erreichen.
    Malaysia.
    Die Polizei wurde benachrichtigt und verfrachtete die Vietnamesen in ein heruntergekommenes Hotel, in dem es von Kakerlaken nur so wimmelte.
    Und Kümmerern.
    Jeden Tag erschienen Vertreter der örtlichen Behörden, brachten ihnen zu essen und zu trinken und sorgten dafür, dass sie etwas zum Anziehen hatten und neue Papiere bekamen. Verlassen durften sie das Hotel nicht, darauf achtete ein Aufpasser, der die Tage in der Lobby verdämmerte und abends von einem Kollegen abgelöst wurde, der die Nachtschicht übernahm.
    Tage des Wartens begannen.
    Phong befand sich in der Obhut einer Mutter von zwei entzückenden Mädchen, sie hatte sich seiner angenommen. Vorübergehend wurde er ihr drittes Kind, und wie eines ihrer eigenen Kinder behandelte sie ihn, auch was die Zuwendung an Zärtlichkeit betraf. Sie nahm ihn in den Arm und streichelte über sein Haar. Jeden Tag liebkoste sie ihn, als wüsste sie instinktiv, was er brauchte: mehr Liebe als Nahrung.
    In seinen Träumen sah Packer diese Frau später oft vor sich: ein trauriges Gesicht mit lächelnden Augen.
    Als man die Boatpeople in ein geschlossenes Flüchtlingslager auf dem Land verfrachtete, durfte er bei ihr bleiben, bei ihr und den Mädchen.
    In den Nächten schlichen Malaien um das Lager und warfen Steine über die Mauer, große Steine, mit denen sie die Eindringlinge verletzen wollten. Manchmal trafen sie einen.
    In der dritten Woche lernte Phong

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