Kalt kommt der Tod (German Edition)
in einer Tasche ihres Kostüms verschwinden.
Während das Flugzeug für den Weiterflug aufgetankt wurde, tranken sie Kaffee bei »Upper Crust«, dann gingen sie ins Erdgeschoss, wo sie ihre Pässe vorzeigen mussten, und warteten auf das Boarding. Diesmal mussten sie durch den knöchelhohen Schnee zur Maschine stapfen.
Unterwegs sagte Packer zu Kokina: »Zwanzig Euro, das war großzügig, vielleicht kommen wir doch klar miteinander.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, entgegnete Kokina, warf seine Reisetasche über die Schulter und betrat die Gangway.
22
In Longyearbyen war alles genau so, wie Jenna gesagt hatte, aber es hatte ihm besser gefallen, als es nur eine Geschichte gewesen war. Wer immer auf die Idee gekommen war, in dieser Gegend eine Stadt aus dem Boden zu stampfen, musste verdammt gute Gründe dafür gehabt haben. Eisiges Licht fiel vom Mond auf das Rollfeld, sie hörten und rochen das Meer, das ganz in der Nähe war, das sie aber nicht sehen konnten.
Packer folgte Jenna und ihrem schicken Louis-Vuitton-Koffer zum Flughafengebäude, ein kurzer Weg, doch die Kälte und die mitteleuropäische Kleidung, die sie trugen, bewirkten, dass jede Faser ihres Körpers immer kälter wurde, je weiter sie gingen.
Der Wind heulte ihnen ins Gesicht. Die Luft verbrannte ihnen die Lungen. Sie glitschten über den Boden.
Außer ihnen waren drei Touristenpärchen, sechzehn Minenarbeiter der Kohlegrube, drei Geschäftsreisende und eine zwanzigköpfige Reisegruppe aus Portugal an Bord gewesen. Packer fragte sich, was Portugiesen zu dieser trostlosen Jahreszeit in Spitzbergen zu suchen hatten, wo doch bei ihnen schon in ein paar Wochen der Frühling begann.
Lärmend drängten die Portugiesen an dem ausgestopften Eisbären in der Ankunftshalle vorbei, einem weißen Riesen, präpariert für die Ewigkeit, der den Ankommenden zuzurufen schien: Das hier ist mein Zuhause!
Die Lampen im Flughafengebäude brannten mit einer fühlbaren Traurigkeit. Nach zehn Minuten lieferte das Gepäckband den Rest ihrer Reiseutensilien an.
Draußen stand ein Taxi, das auf sie gewartet zu haben schien. Sie verstauten ihre Sachen im Kofferraum und setzten sich schnell ins Warme. Der Fahrer, der sich ihnen als Tore vorstellte, Tore aus Oslo, trat auf die Kupplung und knallte den ersten Gang rein, gab Gas und pries sogleich die Annehmlichkeiten Spitzbergens.
»Hat seit Tagen nicht geschneit«, sagte er. »Die Straßen sind fast frei, nur das übliche Eis, in zehn Minuten sind wir da. Wollt ihr eine Hundeschlittentour machen? Fragt Tore. Ihr habt Lust auf einen Ausflug mit dem Schneeskooter? Fragt Tore. Ihr wollt wissen, wo es gemütlich ist? Ich sag’s euch. Übermorgen steigt in der Bar eures Hotels ein Karaoke-Singen. Wir feiern das Polarjazz-Festival. Ihr wollt euch anmelden? Zeit genug. Und morgen eine Safari? Eisbären, Walrosse, Wale? Mein Schwager ist der größte Anbieter für Expeditionen in Longyearbyen. Ihr ruft mich an, ich mache euch einen guten Preis bei ihm.«
Kokina, auf dem Rücksitz, legte dem Fahrer seine schwere Pranke auf die Schulter und drückte zu.
»Noch ein Wort, Sportsfreund, und ich zeige dir, worauf ich heute Lust habe.«
Das Taxi folgte dem Scheinwerferkegel, der über die festgefahrene, kurvenlose Schneepiste strich. Die Straße führte am Fjord entlang und am Hafen vorbei. Der Ausleger eines Kaikrans schwenkte über einen Frachter. Auf der anderen Seite ragte der Schattenriss eines Tafelberges auf.
Trotz Kokinas deutlicher Einlassung wagte der Fahrer noch einen Versuch zur Rettung eines Trinkgelds.
»Da oben«, sagte er und deutete in Richtung des Berges, »ist am 29. August 1996 eine russische Tupolev Tu-154 M abgestürzt. Die Maschine befand sich von Moskau auf dem Weg zu uns rauf und hatte ukrainische Grubenarbeiter an Bord. Vierzehn Kilometer vor dem Flughafen prallte sie in neunhundert Meter Höhe gegen den Opernberg, alle hunderteinundvierzig Insassen kamen dabei um. Wie war denn eure Landung, okay?«
Diesmal drückte Big Kokina noch eine Spur fester zu.
»Deine Einstellung gefällt mir gar nicht«, sagte er. »Macht mich ein bisschen nervös, verstehst du das?«
Aus der Ferne schimmerte das Lichtermeer Longyearbyens in der Dunkelheit der Polarnacht wie eine sich an der Küste entlangstreckende Raffinerie. Dieser Eindruck schwand, je näher sie dem Zentrum kamen, wo Longyearbyen sich offenbar nicht entscheiden konnte, ob es Stadt sein wollte oder Dorf.
Jedenfalls war es ziemlich öde. Das Meer
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