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Kalt kommt der Tod (German Edition)

Kalt kommt der Tod (German Edition)

Titel: Kalt kommt der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Sprado
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reinkommen?«
    »Nein.«
    Galina bemühte sich, Haltung anzunehmen. Die zu großen Hausschuhe mit den rosa Puscheln erschwerten ihre Absicht, sie schwankte und gab sich Mühe, souverän zu erscheinen.
    »Mein Mann und ich mögen keine Besucher.«
    »Tja, es ist so«, sagte Kokina und ließ seine Worte sanft und schmeichelnd klingen, »hinter uns sind ein paar böse Buben her, denen wir ungern begegnen würden. Die haben Waffen, und wir haben keine. Ist das fair, Babuschka, sag?«
    Sie sah ihn an, als ob er ihr ein unsittliches Angebot gemacht hätte: skeptisch, schockiert, beinahe wütend.
    »Dürfen wir uns für ein paar Stunden bei euch ausruhen? Wir bezahlen.«
    Kokina sah Packer an, der griff in seine Hosentasche.
    »Ich hab nur Euro«, sagte Packer. »Kommen wir trotzdem zusammen?«
    »Wie viel?«, fragte Galina.
    »So viel, wie nötig ist«, antwortete Kokina.
    Sie überlegte.
    »Kommt rein!« Schaute links und rechts die Straße runter. »Schnell!«
    72
    Jedes Haus, jede Wohnung hat einen eigenen Geruch, eine typische Signatur, bei Galina Sokolew waren es angebrannte Töpfe. Es roch wie in einem schimmligen Keller.
    Mit ihrem strähnigen, am Kopf klebenden Haar und den eingesunkenen Augen wirkte sie, als sei sie dem Tod bereits recht nah.
    »Du hast es hier aber schön,« sagte Kokina und ließ sein Lächeln spielen.
    Über einen dunklen Flur, der mit braunem Linoleum ausgelegt war, gelangten sie in ein kleines Wohnzimmer, in dem der Fernseher lief. Satellitenprogramm aus der Heimat, eine Tanzshow mit Prominenten, die ein Mal im Leben prominent sein wollten oder es einmal gewesen waren.
    »Seht euch die an!«, sagte Galina. Ohne hinzusehen, griff sie nach der Wodkaflasche und schenkte sich ein.
    »Ja«, sagte Packer und setzte sich neben Galina auf das Sofa.
    »Wo ist dein Mann?«, fragte Kokina.
    »Liegt oben. Schläft.«
    Packer breitete hundert Euro in Zehnerscheinen auf dem Tisch aus. »Ist das genug?«
    »Wir werden sehen«, antwortete Galina. Ihr Blick klebte auf dem Bildschirm. Und dann: »Die Treppe hoch und den Gang runter, das letzte Zimmer, da stehen zwei Betten drin, die könnt ihr benutzen.«
    Sie wischte die Scheine vom Tisch und stopfte sie in die Tasche ihres Bademantels.
    Sie schaute nicht mal auf, als Packer und Kokina aufstanden. »Jede weitere Nacht kostet hundert extra. Pro Person, damit wir uns verstehen.«
    »Schon klar«, sagte Kokina. »Wir haben nicht die Absicht, länger als nötig zu bleiben.«
    »Bedauerlich«, erwiderte Galina. »Eigentlich ist es ganz nett hier.«
    Und plötzlich, laut: »Seht euch das an! Wieso werden die beiden disqualifiziert? Sie tanzen wie die Götter, jeder mag sie, und auf einmal werden sie rausgeschmissen? Dahinter steckt der Kreml, es ist immer der Kreml, warum begreifen das die Menschen in Russland nicht? Na los doch, geht rauf, euch interessiert das sowieso einen Dreck.«
    Was soll man dazu sagen? Außer: »Gute Nacht, Babuschka«, was sie auch sagten.
    Jede Treppenstufe knarrte, als wäre das Haus zur Zeit des Zaren gebaut worden, hundert Jahre früher. Auf dem obersten Absatz angekommen, wandten sie sich nach links. Als sie an der zweiten Tür vorbeigingen, rief von der anderen Seite eine dunkle Männerstimme: »Galina? Warum kommst du nicht herein?«
    Galinas Mann kannte die Grube, vielleicht wusste er mehr über die ungewöhnlichen Aktivitäten seiner Landsleute, also drückte Packer die Türklinke. Als er die Tür öffnete, schlug ihnen der erstickende Geruch von kaltem Essen, Alkohol und Krankheit entgegen. Kokina verzog das Gesicht und drehte sich weg.
    Gestützt von zwei großen Daunenkissen, lag Boris Sokolew im Bett und reckte angestrengt den Kopf vor, ebenso überrascht wie gleichgültig. Er hatte einen ungepflegten Stalin-Schnurrbart, schwarze Fünf-Tage-Stoppeln auf den Wangen und flackernde Lider. Auf seinem Nachttisch standen zwei Flaschen Wodka, in jeder Flasche befand sich ein zwei Finger hoher Rest.
    Er bemerkte ihren Blick.
    »Was soll ich machen.«
    Das war keine Frage, sondern die Feststellung eines in seiner Vergangenheit gefangenen Mannes.
    Eine Schwanenhalsstehlampe mit angesengtem grünen Schirm wölbte sich über dem Bett wie ein einsamer Schilfstängel über einen Teich. Auf dem Nachttisch lag ein Stapel Bücher: Die Straße der Ölsardinen, Manhattan Transfer, Wem die Stunde schlägt, Licht im August. Ausnahmslos amerikanische Autoren: John Steinbeck, John Dos Passos, Ernest Hemingway und William Faulkner. Kein einziger

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