Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalt kommt der Tod (German Edition)

Kalt kommt der Tod (German Edition)

Titel: Kalt kommt der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Sprado
Vom Netzwerk:
Lagerhallen in ein kaltes Bühnenlicht zu tauchen.
    Im Windschatten eines Ladeschuppens, der von einem über Jahrzehnte gequälten Kran überragt wurde, suchten sie Schutz vor dem mit neuer Kraft einsetzenden Sturm. Packer begann, sich Sorgen um Kokina zu machen, dessen Kräfte spürbar schwanden. Mehr und mehr wich das Schwanken des Raddampfers dem Schlingern eines überfüllten Flüchtlingsbootes.
    »Schaffst du es bis zum Hubschrauber?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ein Jammer, du weißt ja wirklich einen Scheiß«, sagte Packer.
    »Pass auf, was du sagst«, raunzte Kokina und übernahm die Führung.
    Er rannte an den Schuppen entlang, ohne zu sehen, was Packer sah. Was ihn, Packer, so aus der Fassung brachte, dass er mitten im Laufen stehen blieb, um auf den Schriftzug zu starren, der hoch vor ihm am Bug des einzigen Schiffes am Kai emporragte: Riesenberg Experience I. In der für die Riesenberg-Flotte typischen Schrift stand es da, rot auf schwarzem Grund.
    Die Riesenberg Experience I war das größte Schiff der Reederei und mit den eigenen Kränen an Bord in der Lage, schwerste Lasten in jedem Hafen der Welt zu löschen, sogar in einem so bescheidenen und abgelegenen Kaff am Rand der Welt wie Barentsburg.
    Was zum Teufel, dachte Packer, hatte die Experience auf Spitzbergen zu suchen?
    70
    Der Hubschrauberpilot lag auf der Seite, Ellenbogen und Knie dicht an den Körper gezogen, wie ein Embryo. Oberhalb des Kehlkopfes klaffte eine tiefe Wunde in seinem Hals.
    Auf dem niedrigen Tisch in der Mitte des Zimmers, in dem sich Vollmer und der Pilot aufgehalten hatten, standen zwei grüne Teebecher, einer war noch halb voll, der andere leer. Das Porzellan des einen Bechers war noch warm.
    Packer tauchte eine Fingerspitze in die Blutlache, die sich neben dem Kopf des Piloten gebildet hatte. Das Blut war kalt, aber feucht, das sagte ihm, dass es innerhalb der letzten Stunde passiert sein musste.
    Der Wind pfiff unaufhörlich durch die Fensterritzen, und das Feuer in dem gusseisernen Ofen in der Ecke war fast runtergebrannt.
    Kokina setzte sich auf einen gelben Plastikstuhl, dessen Lehne an mehreren Stellen mit schwarzem Isolierband geflickt worden war. Er legte seine Stirn in beide Hände und schnaufte. Sein sperriger Bauch bewegte sich rhythmisch wie ein Blasebalg.
    »Das ergibt doch keinen Sinn«, sagte er. »Was hat das zu bedeuten?«
    »Wir müssen von hier weg, und zwar schnell«, sagte Packer und dachte: Aber wohin?
    Als hätte Kokina die Frage gehört, hob er den Kopf.
    »Das Hotel können wir vergessen«, fuhr Packer fort. »Ich schätze, uns bleibt nur eine Möglichkeit, um wenigstens für ein paar Stunden unterzutauchen, und zwar – bist du so weit? – bei deiner neuen Freundin. Galina und ihr kranker Mann hassen die Russen und lassen uns vielleicht rein. Da sucht uns keiner.«
    »Von deiner Menschenkenntnis bin ich nicht gerade überwältigt. Du hast schon die Tochter von Riesenberg falsch eingeschätzt, und wer weiß, wen sonst noch«, meinte Kokina, dessen Atem sich langsam beruhigte.
    »Wenn sie uns verpfeift«, meinte Packer, »sind wir im Arsch. Hast du eine bessere Idee?«
    Hatte er, aber wie sollte er Packer davon überzeugen, dass es vernünftiger wäre, die Dinge so zu belassen, wie sie waren, und so schnell wie möglich nach Longyearbyen abzuhauen und die Insel mit dem nächsten Flugzeug für immer zu verlassen? Also ließ er es, stattdessen fragte er: »Suchen wir vorher nach unserem Kumpel?«
    »Wenn du Vollmer meinst, mein Kumpel ist der nicht.«
    »Weiß schon Bescheid. Dir wäre es recht, wenn er so endet wie der da«, er reckte sein Kinn zum toten Piloten.
    »Die beiden Hubschrauber stehen immer noch da draußen, entweder waren Tarassow und seine Männer vor uns hier und haben Vollmer erwischt, oder er konnte sich rechtzeitig aus dem Staub machen. Irgendwann wird Vollmer uns wieder über den Weg laufen, so oder so«, erwiderte Packer.
    71
    Galina Solowjow öffnete ihnen die Tür in einem hellblauen Bademantel, den sie vor dem Bauch über einem einfachen weißen Nachthemd mit Spitzenbesatz zugeknotet hatte. In der Hand hielt sie ein leeres Glas, und in ihren Augen lag ein trüber Schimmer, ganz die frühabendliche Trinkerin, die aus tiefen unglücklichen Träumen gerissen worden war. Sie erkannte die beiden Männer wieder, die ihr geholfen hatten, ihre Einkäufe nach Hause zu tragen.
    »Da sind wir«, sagte Kokina, als würde er mit einer alten Bekannten reden. »Dürfen wir

Weitere Kostenlose Bücher