Kalt kommt der Tod (German Edition)
Russe war dabei. Die Bände waren abgegriffen und die Schnittkanten vergilbt, er hatte die Romane sicher schon mehrmals gelesen.
»Ihre Frau hat uns erlaubt, eine Nacht in Ihrem Haus zu bleiben«, sagte Kokina. Er versuchte, durch den Mund zu atmen und gleichzeitig zu sprechen.
»Das ist gut.«
»Ja.«
»Wir haben wenig Besuch.«
»Früher waren Sie in der Grube beschäftigt«, sagte Packer. »Wo sind die vielen Menschen hin, die dort gearbeitet haben?«
»Bis die Grube geschlossen wurde, nach dem großen Brand, hat die Mine für uns gesorgt, danach sind fast alle Arbeiter in die Heimat zurückgekehrt. Wir nicht, in Petersburg gibt es niemanden mehr, der auf uns wartet. Alle tot.«
»Die Grube ist wieder in Betrieb«, sagte Kokina. »Wissen Sie etwas darüber?«
»Niemand weiß etwas.«
»Auch Jegor nicht?«, fragte Packer.
»Jegor ist ein Schwein.«
»Ihre Frau hat uns zu ihm geschickt. Sie meinte, er wäre der Richtige, um uns ein paar Fragen zu beantworten.«
»Ohne Jegor würde es uns besser gehen. Er hat später behauptet, ich und zwei Kollegen hätten das Feuer verursacht, aus Fahrlässigkeit, aber das ist nicht wahr. Obwohl das Verfahren gegen uns eingestellt wurde, sorgte Jegor dafür, dass wir kein Geld mehr bekamen. Alle kriegten eine Abfindung, als die Gesellschaft die Grube dichtmachte und sie nach Hause schickte, wir nicht.«
»Sie und die beiden Arbeiter gingen leer aus?«
»Die beiden anderen sind tot, im Rauch erstickt. Ihre Frauen halten sich mit Strickereien über Wasser, die sie an Touristen von den Kreuzfahrtschiffen verkaufen. Handschuhe, Pullover, so was. Gelegentlich helfen sie in der Cafeteria aus.«
Er schlug die Bettdecke zurück. Seine Beine waren von den Knöcheln bis zur Mitte des Oberschenkels mit grauen Mullbinden bandagiert.
»Verbrannt und gebrochen«, sagte er. »Gegen die Schmerzen bleibt mir nur das hier.« Er deutete auf die Wodkaflaschen.
Draußen heulte ein Motor auf, der einen Gang heruntergeschaltet wurde. Das Gebäude begann zu beben. Vor dem Fenster wurde es hell und heller, dann fuhr ein langer Schatten vorbei.
Sokolew schlug die Decke wieder über seine Beine, sagte: »Seit Tagen dieser Lärm. Wenn ein neues Schiff ankommt und die Hauptstraße von Lastwagen verstopft ist, fahren sie auch hier entlang, durch unsere kleine Straße, manchmal sogar nachts.«
»Was ist denn nun mit der Mine?«, fragte Kokina.
»Da ist nichts mehr zu holen. Früher, vor Perestroika und Glasnost, spielte es keine Rolle, ob es sich gelohnt hat, es wurde einfach gemacht, aber seit der Privatisierung muss sich das Geschäft für die neuen Eigentümer rechnen. Am Anfang war das auch so, doch nach dem Brand hätten sie Millionen in die Instandsetzung investieren müssen. Doch die Geologen meinten, das lohnt nicht mehr.«
Sie ließen Sokolew reden, und je mehr er erzählte, desto nüchterner schien er zu werden. Er schüttelte träge den Kopf: »Was immer da heute passiert, mit Kohle hat das nichts zu tun.«
»Sondern?«, fragte Packer.
»Finden Sie es raus.«
Er ließ sein Feuerzeug aufflammen und steckte sich eine frische Zigarette an. »Es gibt Gerüchte.«
Ihre Gesellschaft tat ihm gut, lenkte ihn ab, von seinen Schmerzen und seiner schlimmen Geschichte.
»Erzählen Sie uns von den Gerüchten«, ermunterte ihn Packer.
»Waffen«, antwortete Sokolew.
»Wofür?«
»Die kann man immer gebrauchen.«
»Auf Spitzbergen?«
»Überall.«
»Waffen also«, sagte Kokina, als habe er die Tragweite dieses Wortes erst jetzt begriffen.
»Vielleicht auch Rauschgift«, sagte Sokolew.
»Rauschgift?«
»Ein Umschlagplatz für Drogen. Spitzbergen wäre ein perfekter Brückenkopf für den Handel zwischen Russland und den USA und Europa«, überlegte Packer.
Sokolew kriegte einen roten Kopf vom vielen Reden, sagte: »Laborgeräte.«
»Wie bitte?«, fragt Packer.
»Laborgeräte. Es könnte auch technisches Material in den Containern sein. Seit einer Weile kursieren Gerüchte in Barentsburg, das Wissenschaftsministerium in Moskau plane den Bau eines großen Zentrums für die Erforschung des Polarmeeres. Zum Wohl des russischen Staates selbstverständlich.«
Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar.
»Auf fremdem Territorium?«, fragte Packer.
»Wenn im Gegenzug genug Geld fließt – warum nicht? Ihr seht nur die Uniformen, aber die haben nichts zu bedeuten. Eine Uniform kann sich jeder besorgen. Vielleicht sind die Uniformen echt, vielleicht auch nicht. Die russische Mafia
Weitere Kostenlose Bücher