Kalt kommt der Tod (German Edition)
sich genau ansehen wollen. Ist das ein Problem?«
»Wenn du mir ein Hotelzimmer besorgst, sehe ich keins. Vor allem, wenn du auch den hier«, er deutete mit einem Kopfnicken zu Magnus, »einlädst. Nach dieser Tour könnten wir ein bisschen Abwechslung gebrauchen.«
Die Polizeichefin überlegte einen Moment.
»Also gut, das nehme ich auf meine Kappe. Zwei Nächte auf Staatskosten für jeden von euch, aber keinen Tag länger. Und wehe, Magnus, ich muss dich nachher besoffen aus dem Verkehr ziehen. Dann kannst du die zweite Nacht vergessen.«
»Weiß ich etwa nicht, was Benimm ist?«, erwiderte der Trapper und leckte sich die Lippen in Erwartung eines Steaks und einer Menge Drinks.
»Frag deine Mutter«, erwiderte Ingrid und stieg in den Polizeiwagen. Packer, Kokina, der Kapitän und der Trapper stiegen ebenfalls ein.
Als sie die Straße zum Verwaltungszentrum hinauffuhren, sagte Packer: »Mittlerweile fühle ich mich auf Spitzbergen wie zu Hause. Nach Barentsburg ist Longyearbyen der reinste Garten Eden.«
89
Viel zu schnell für sein Empfinden steuerte Ingrid Yitterdal den Saab über die glatten Straßen.
Packer fragte: »Gibt es Neuigkeiten von Jenna Harbers? Ist sie, ich meine, hat sie …«
»Es geht ihr gut, nach Auskunft der Ärzte kann sie das Krankenhaus in zwei Wochen verlassen. Du musst dir keine Sorgen mehr machen.«
Packer stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Vor dem Einkaufszentrum bog sie rechts ab und fuhr über die Brücke eines zugefrorenen Meeresarms den Hügel zur Polizeistation hinauf.
»Wenn der Sysselmann noch in Longyearbyen ist, weiß ich vielleicht, wo«, sagte Packer unvermittelt.
»Und?«, fragte die Polizeichefin mit einem Blick in den Rückspiegel, der besagte: Warum hast du mir das nicht früher erzählt?
»Vermutlich hast du vom Bungee-Club gehört.«
»Eines der vielen Märchen, die wir in den langen Winternächten zu hören kriegen.«
Magnus, Kokina und Kristian Selboskar stiegen vor der Polizei aus.
»Fahren wir zur Universität«, schlug Packer vor. »Morton Paulsen wird sich über unseren Besuch freuen.«
»Morton?«, fragte Ingrid Yitterdal.
»Fahr einfach«, sagte Packer.
90
Die Vorlesung über Ozeanografie des 19. Jahrhunderts hatte vor fünf Minuten angefangen. Morton Paulsen, ganz in seinem Element, marschierte vor seinen Studenten auf und ab und erläuterte ihnen salbungsvoll die Bedeutung der Challenger -Expedition im Jahr 1872, die er als Beginn der modernen Meereskunde bezeichnete und in deren Folge die Plankton-Expedition (1889), die Pola -Expedition (1890 – 1898) und die Valdivia -Expedition (1898/99) weitere wichtige topografische, chemische, physikalische und biologische Daten sammelten und den Grundstein für die Erforschung der Weltmeere legten.
Er trug einen seiner geliebten schwarzen Rollkragenpullover und verfehlte nie das treffende Bonmot. Jedes seiner Worte saß an exakt der Stelle, wo es hingehörte, sodass sein Vortrag vor Kompetenz und Humor nur so strotzte.
»Der Initiator der Valdivia -Expedition, die übrigens die erste groß angelegte deutsche Erforschung der Tiefsee gewesen ist, war der Zoologe Carl Chun. Das Schiff gehörte früher zur Flotte der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft und wurde aufwendig umgerüstet. An Bord gingen Botaniker, Chemiker, Zoologen, Ozeanografen, Fotografen und wissenschaftliche Zeichner, insgesamt dreiundvierzig Männern. Die Ergebnisse dieser Reise wurden später in vierundzwanzig Bänden mit wissenschaftlichen Berichten niedergeschrieben. Zweiunddreißigtausend Seemeilen haben die alten Säcke an Bord der Valdivia zurückgelegt. Worüber die sich wohl abends beim Dinner unterhalten haben? Walfische? Vielleicht, aber nur über solche, die Reifröcke trugen.«
Paulsen war so in Fahrt, dass er das zarte Klopfen an der Tür nicht hörte, und erst als die Sekretärin heftiger gegen die Tür pochte, hielt er inne, hob verärgert den Kopf.
»Was ist denn?«
Die Frau öffnete die Tür zum Vorlesungssaal und streckte ängstlich den Kopf hinein.
»Morton, es tut mir leid, dich stören zu müssen«, sagte sie, »Ingrid möchte dich sprechen, jetzt gleich. Bei ihr ist ein Mann, der sich Phong Packer nennt.«
»Im Augenblick bin ich für niemanden zu sprechen, siehst du das nicht?«
Ingrid drängelte sich an der Sekretärin vorbei.
»Ich kann dich abführen, Morton, wenn dir das lieber ist«, sagte sie. »Du hast drei Sekunden Bedenkzeit.«
»Deine Direktheit kostet dich eines
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