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Kalt wie Stahl - Der 3 Joe Kurtz Thriller

Kalt wie Stahl - Der 3 Joe Kurtz Thriller

Titel: Kalt wie Stahl - Der 3 Joe Kurtz Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Soziobiologie, Joe.«
    Kurtz wusste, wovon sie redete. Sein obdachloser Mentor Pruno hatte ihm eine lange Leseliste für seine Zeit in Attica zusammengestellt. Im sechsten Jahr zählte auch Edward O. Wilson zu seiner empfohlenen Lektüre. Aber er würde sich trotzdem nicht anmerken lassen, dass er ihre Bemerkung verstanden hatte.
    Er bedachte Rigby mit dem ausdruckslosesten Blick, zu dem er sich in der Lage sah, und erwiderte: »Ich habe mir O’Toole wie einen Schild über den Rücken geworfen. Sie ist eine kräftige Frau und hätte ein 22er-Geschoss aus dieser Entfernung aufgehalten.«
    »Nun, das hat sie ja auch getan.« Rigby stand auf. »Wenn du noch weitere lichte Momente haben solltest, Joe, ruf an.«
    Sie verließ den Broadway Market durch den Südwestausgang.
    Das Handy vibrierte, als er in seinem Pinto zurück zur Chippewa Street fuhr.
    »Besorgung erledigt«, erklang Angelina Farino Ferraras sonore Stimme.
    »Danke.«
    »Ich scheiß auf Ihren Dank«, fluchte der amtierende weibliche Don. »Sie schulden mir was, Kurtz.«
    »Nein. Wir sind quitt, wenn ich Ihnen den Vorschuss zurückzahle. Geben Sie die 15 Riesen weise aus. Gönnen Sie Ihrem Boxster einen neuen BH.«
    »Ich habe ihn im Frühling verkauft«, entgegnete Angelina. »Er war mir zu langsam.« Sie legte auf.
    Das Büro roch nach Kaffee und Zigaretten. Kurtz hatte nie geraucht und ihm war zu übel, um noch mehr Koffein zu vertragen.
    O’Tooles Festplatte hatte beim Verhör alles gestanden – passwortgeschützte Akten ihrer 39 Klienten, Notizen, alles mit Ausnahme der ebenfalls passwortgeschützten E-Mails. Mit dem meisten konnte er nichts anfangen. O’Toole benutzte ihren Bürorechner offensichtlich nicht für private Zwecke – er stieß ausschließlich auf berufliche Unterlagen.
    Die Akten über die Exhäftlinge, Kurtz eingeschlossen, enthielten den üblichen Haufen trauriger Fakten gemischt mit einer satten Dosis Psychogesülze. Lediglich 21 der 39 waren »aktive Klienten«, also entlassene Häftlinge, die sich wöchentlich, 14-täglich oder monatlich bei ihrer Bewährungshelferin melden mussten. Keine von O’Tooles Notizen aus den letzten Wochen begann mit den Worten: »Klient Soundso drohte heute, mich umzubringen …«
    Tatsächlich war das Ausmaß an Banalität in den Aufzeichnungen verblüffend. Diese Typen waren durch die Bank Verlierer, viele von einer oder mehreren Substanzen abhängig und keiner von ihnen – auch wenn es in O’Tooles kühlen, professionellen Zusammenfassungen anders klang – schien ernsthafte Ambitionen zu besitzen, in Zukunft ein anständiges, gesetzestreues Leben führen zu wollen.
    Und keiner von ihnen schien ein Motiv für die Ermordung seiner Bewährungshelferin zu haben. Alle Klienten von O’Toole waren im Übrigen männlich. Vielleicht, dachte Kurtz, mochte sie keine Exhäftlinge weiblichen Geschlechts.
    Joe seufzte und rieb sich das Kinn, dabei hörte er das Raspeln der Stoppeln. Er hatte heute Morgen geduscht – wobei er sich schön langsam durch den Dunstschleier der Schmerzen und der Übelkeit bewegte –, dann aber entschieden, dass der Drei-Tage-Bart prächtig zur purpur-orangen Waschbärmaske und seinem derangierten Antlitz passte. Außerdem wurden die Kopfschmerzen beim Rasieren schlimmer.
    Arlene hatte das Büro nach ihrer morgendlichen Besprechung verlassen – freitags fuhr sie für gewöhnlich zum Kaffeetrinken zu ihrer Schwägerin Gail. Meistens unterhielten sie sich über Sams Tochter Rachel, für die Gail die Vormundschaft übernommen hatte. Daher hatte Kurtz das Büro für sich allein. Er wanderte auf und ab, genoss am einen Ende seiner einsamen Marschroute die Wärme aus dem Hinterzimmer mit den surrenden Servern, am anderen Ende die Kühle der langen Fensterreihe. Nach dem angenehmen Wetter vom Vortag war es heute kalt und regnerisch. Reifen zischten auf der Chippewa Street, doch vor der Mittagszeit gab es generell kaum Verkehr.
    Er blätterte immer wieder die fünf Seiten mit den 39 Namen samt knapp gehaltener Persönlichkeitsprofile durch und überlegte, ob er sich selbst als potenziellen Verdächtigen von der Liste streichen sollte. Die feinen Instinkte eines erfahrenen professionellen Ermittlers . Ihm kamen keine brauchbaren Strategien oder Schlussfolgerungen in den Sinn.
    Selbst wenn er die Aufstellung auf die 20 »aktiven« Klienten reduzierte – und es gab keinen logischen Grund, das zu tun –, würde Kurtz eine oder zwei Wochen einrechnen müssen, um alle Türen abzuklappern.

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