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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Schließlich besitzt er die emotionalen Fähigkeiten – na, sagen wir mal: einer Kröte «, sagte Proctor, womit er seine Behauptung, nicht unnötig grausam zu sein, selbst widerlegte.
    » Er ist sanft «, sagte Blair, » er ist lieb. Er ist etwas ganz Besonderes. « Diese Worte richteten sich nicht an Proctor; sie waren ein Abschiedsgruß an ihren Sohn. » Auf seine Weise geht ein Leuchten von ihm aus. «
    » Leider ist dieses Leuchten reichlich trübe «, sagte Proctor bedauernd, als besäße er die emotionale Fähigkeit, von Sheps Zustand gerührt zu werden. » Aber das kann ich Ihnen versprechen: Wenn ich erreicht habe, was ich eines Tages gewiss erreichen werde, wenn ich in der Reihe der Nobelpreisträger stehe und mit Königen speise, dann werde ich Ihren kranken Jungen nicht vergessen. Durch mein Werk werde ich in de r L age sein, ihn aus einer Kröte in einen intellektuellen Riesen zu verwandeln. «
    »Sie aufgeblasener Bastard«, sagte Blair O’Conner bitter. »Sie sind kein Wissenschaftler, sondern ein Monstrum. Die Wissenschaft bringt Licht in die Finsternis, aber Sie sind die Finsternis. Sie Monstrum! Sie tun Ihr Werk beim Licht des Mondes, nicht im Sonnenschein!«
    Wie aus der Position eines Beobachters sah Dylan sich selbst eine Hand heben, so als könnte er nicht nur die Kugel aufhalten, sondern auch den erbarmungslosen Lauf der Zeit.
    Der Knall des Schusses war lauter, als er erwartet hätte, so laut wie das Donnern des Himmels an jenem Tag, an dem die Welt endet.

35
    Dylan wusste nicht recht, ob er die Kugel wirklich gespürt hatte, aber als er sich voll Grauen umdrehte, hätte er genau die Form, die Oberfläche, das Gewicht und die Hitze des Geschosses beschreiben können, das seine Mutter tötete. Nicht als es ihn durchfuhr, fühlte er es in sich eindringen, sondern als er sah, wie Blair zu Boden stürzte und ihr Gesicht sich vor Schock und Schmerz zusammenzog.
    Er fiel vor ihr auf die Knie, um sie verzweifelt in die Arme zu nehmen und ihr in den letzten Sekunden ihres Lebens Trost zu spenden, aber hier in ihrer Zeit besaß er weniger Substanz als der Schatten eines Geistes.
    Blair lag da und blickte durch Dylan hindurch auf den zehnjährigen Shep. Vier Meter von ihr entfernt stand der Junge mit hängenden Schultern und halb gesenktem Kopf da. Er ging zwar nicht auf seine Mutter zu, erwiderte ihren Blick aber mit seltener Direktheit.
    So wie er aussah, begriff der junge Shep entweder nicht ganz, was er gerade gesehen hatte, oder er begriff es nur zu gut und befand sich in einem Schockzustand. Reglos stand er da, ohne etwas zu sagen oder zu weinen.
    Neben Blairs Lieblingssessel nahm Jilly den älteren Shepherd in die Arme, der vor der Berührung auch nicht zurückschrak, wie er es normalerweise getan hätte. Sie hielt ihn davon ab, zu seiner Mutter hinüberzuschauen, und der Blick, mit dem sie Dylan dabei betrachtete, war voller Qual und Mitgefühl. Er bewies, dass sie keine Fremde mehr war, dass sie in weniger als vierundzwanzig Stunden Teil der Familie geworden war.
    Durch Dylan hindurch sah seine Mutter ihren jüngeren Sohn an. » Sei tapfer, mein Liebling «, sagte sie. » Du bist nich t a llein, und du wirst auch nie allein sein. Dylan wird immer für dich sorgen. «
    Dann setzte der Tod sein Komma in der Geschichte ihres Lebens, und es war vorbei.
    » Ich hab dich lieb «, sagte Dylan zu ihr, der doppelt Toten. Seine Worte hallten über den Strom der vergangenen zehn Jahre und über jenen anderen Strom, dessen jenseitiges Ufer noch ferner war als das des Laufs der Zeit.
    Obwohl es ihn in den Grundfesten erschüttert hatte, Zeuge ihres Todes zu sein, hatten ihn die letzten Worte seiner Mutter genauso getroffen: Du bist nicht allein, wirst nie allein sein. Dylan wird immer für dich sorgen.
    Zu hören, wie sie so viel Vertrauen in seinen Charakter als Bruder und als Menschen zum Ausdruck brachte, bewegte ihn tief.
    Dennoch zitterte er, wenn er an die Nächte dachte, in denen er wach gelegen hatte und sich, erschöpft von einem schwierigen Tag mit Shepherd, dem Selbstmitleid hingegeben hatte. Verzweifelt war er zwar nie gewesen, aber verzagt und mutlos; und in jenen düsteren Stunden hatte er sich gefragt, ob Shep doch nicht besser dort aufgehoben wäre, wo man ihm ein e » liebevoll, professionelle Pflege « zuteil werden ließ, wie es die Meister der Schönfärberei nannten.
    Dylan wusste, dass es keine Schande gewesen wäre, ein erstklassiges Heim für Shepherd zu suchen, und er wusste

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