Kalt
rhythmisch immer dieselben Worte zu murmeln, die Jilly aber nicht genau verstehen konnte.
Mit wie zum Gebet gesenkten Kopf kniete Dylan währenddessen neben seiner Mutter. Er war offenbar noch nicht bereit, sie allein zu lassen.
Nachdem Proctor sich davon überzeugt hatte, dass der junge Shepherd in seiner Ecke als gewissenhafter Wärter der eigenen Einkerkerung dienen würde, verließ er das Wohnzimmer, überquerte den Hausflur und öffnete die Tür zu einem anderen Zimmer.
Wenn sie hier nicht sofort wieder verschwanden, dann war es sinnvoll, Proctor zu folgen und herauszubekommen, was er tat.
Jilly drückte Shep noch einmal liebevoll, dann ließ sie ihn los. » Schauen wir mal, was der Bastard vorhat «, sagte sie.
» Kommst du mit, Schatz? «
Shep allein zu lassen, kam nicht infrage. So verängstigt und gramvoll, wie er war, brauchte er Gesellschaft. Außerdem bezweifelte Jilly zwar, dass er sich ohne sie und Dylan wegfalten würde, aber darauf ankommen lassen wollte sie es nicht.
» Kommst du mit, Shepherd? «
» Ratte, Maulwurf, Kröterich. «
» Was soll das bedeuten, Shep? Was willst du mir sagen? «
» Ratte, Maulwurf, Kröterich. Ratte, Maulwurf, Kröterich. «
Als er dieses Mantra zum dritten Mal rezitierte, hatte er seine Worte mit denen des zehnjährigen Shepherd in der Ecke synchronisiert, und Jilly merkte, dass der jüngere Shep dasselbe murmelte, während er sich vor und zurück wiegte: » Ratte, Maulwurf, Kröterich. «
Jilly hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, aber auch nicht die Zeit, sich in eines jener langen, umständlichen Gespräche mit Shep verwickeln zu lassen. » Ratte, Maulwurf, Kröterich «, wiederholte sie deshalb einfach. » Wir sprechen später darüber, Schatz. Jetzt komm erst einmal. Komm einfach mit. «
Zu ihrer Überraschung folgte Shep ihr ohne Zögern aus dem Wohnzimmer.
Als sie das Arbeitszimmer betraten, schlug Proctor mit der Tastatur des Computers gerade den Monitor ein. Dann schob er alles vom Tisch, sodass es zu Boden stürzte. Sein Zerstörungswerk schien ihm keinerlei Schadenfreude zu entlocken; er zuckte nicht einmal zusammen.
Schublade für Schublade suchte er hastig nach Disketten, fand einige und stapelte sie auf. Den restlichen Inhalt der Schubladen warf er auf den Boden, wo er ihn sorgsam verteilte. Offenbar wollte er den Eindruck hinterlassen, dass es sich bei den Mördern von Dylans Mutter um gewöhnliche Einbrecher und Wandalen gehandelt hatte.
In den unteren Fächern des Büroschranks waren nur Aktenordner aufgereiht, um die Proctor sich gar nicht erst kümmerte.
Über den Aktenordnern standen drei breite Diskettenboxen, in die jeweils wahrscheinlich hundert Datenträger passten.
Proctor riss die Disketten aus den Boxen und warf sie achtlos beiseite, ohne die Aufkleber zu lesen. In der dritten Box fand er schließlich vier Disketten, die sich durch eine kanariengelbe Hülle von den anderen unterschieden.
» Na also «, sagte er und ging zum Schreibtisch.
Mit Shep an der Hand trat Jilly so nah an Proctor heran, dass sie schon erwartete, er würde gleich aufschreien, als hätte er ein Gespenst gesehen. Sein Atem roch nach Erdnüssen.
Auf der gelben Hülle jeder der vier Disketten prangte in roten Lettern das Wort WARNUNG ! Die restliche Aufschrift war schwarz und bestand aus juristischen Floskeln, die darauf hinwiesen, dass diese Datenträger nur von Anwalt und Klien t g eöffnet werden durften, dass jedem unrechtmäßigen Besitzer eine straf- und zivilrechtliche Verfolgung drohe und dass jeder, der nicht zu den Mitarbeitern der unten angegebenen Kanzlei gehöre, automatisch zum unrechtmäßigen Besitzer werde.
Proctor zog eine der Disketten aus ihrer Hülle, um das Etikett zu lesen. Dann steckte er alle vier befriedigt in die Innentasche seiner Jacke.
Nachdem er eindeutig gefunden hatte, was er suchte, spielte Proctor noch einmal den Wandalen. Er riss Bücher von den Regalen und schleuderte sie durchs Zimmer. Mit flatternden Seiten flogen die Bände durch Jilly und Shepherd hindurch und fielen hinter ihnen wie tote Vögel zu Boden.
*
Als der Computer krachend vom Schreibtisch stürzte, erinnerte sich Dylan an das Durcheinander, in dem man Teile des Hauses in jener lange vergangenen Februarnacht vorgefunden hatte. Bisher war er an der Seite seiner Mutter geblieben, weil er sich der irrationalen Hoffnung hingegeben hatte, sie irgendwie vor der bevorstehenden Demütigung bewahren zu können, wenngleich es ihm nicht gelungen war, sie
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