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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Flur schon vor sich, hielt sie inne, verunsichert, weil der Schrei weder nach Dylan noch nach einem dreizehnjährigen Jungen geklungen hatte. Die schrille, aufgeregte Stimme war weiblich gewesen.
    Dann hörte sie andere Geräusche, schließlich auch eine Männerstimme, die aber ebenfalls weder von Dylan noch einem kleinen Jungen stammen konnte. Was genau der Besitzer der Stimme sagte, war nicht zu verstehen.
    Da sie gekommen war, um Dylan mitzuteilen, dass der junge Travis hier oben bei Kenny war, aber auch, um ihm beizustehen, falls er Hilfe brauchte, konnte sie nicht einfach wie gelähmt auf der Treppe stehen bleiben, ohne dabei ihre Selbstachtung zu verlieren. Diese Selbstachtung hatte Jillian Jackson sich mühsam im Laufe einer Kindheit erworben, die, abgesehen vom guten Beispiel ihrer Mutter, einen fruchtbaren Boden für das Entstehen von Selbstzweifel und übertriebener Bescheidenheit geboten hatte. Auch hier würde sie nicht preisgeben, was sie sich so lange und schwer erkämpft hatte.
    Nachdem Jilly die Treppe hinter sich gelassen hatte, sah sie aus einer offenen Tür zu ihrer Linken einen schwachen Lichtschein fallen. Helleres Licht kam aus einer Tür weiter rechts – und durch ein geschlossenes Fenster am Ende des Flurs strömten Tauben, eine Vision von Tauben, bei der die Fensterscheiben unversehrt blieben.
    Die Vögel machten keinerlei Geräusch – kein Gurren oder Schreien, nicht der leiseste Flügelschlag. Als sie Jilly wie ein Wasserfall aus weißen Federn, tausend stechenden Blicken und tausend weit offenen Schnäbeln jäh überströmten, hätte sie nicht erwartet, sie zu spüren, aber sie tat es. Der Luftzug, den der Vogelflug entfachte, roch nach würzigem Weihrauch, während die Flügelspitzen Jilly über Oberkörper, Arme und Gesicht strichen.
    Jilly hielt sich nah an der linken Wand, während sie zielstrebig in einen Sturm weißer Schwingen hineinschritt, der so dicht wie der fedrige Blizzard war, der zuvor durch Dylans Wagen getobt war. Sie fürchtete zwar um ihren Verstand, aber nicht die Vögel. Die wollten ihr nichts Böses. Selbst wenn sie real gewesen wären, hätten sie nicht nach ihr gehackt oder ihr die Augen ausgekratzt. Jilly spürte, dass sie der Beweis für ein gesteigertes Sehvermögen waren, obgleich sie selbst, während ihr dieser Gedanke kam, keinerlei Ahnung hatte, worin ein gesteigertes Sehvermögen eigentlich bestand. Vorläufig war es etwas, das sie instinktiv und emotional begriff, nicht intellektuell.
    Obwohl die Vögel ihr keinen Schaden zufügten, hätte der Zeitpunkt ihres Erscheinens nicht ungünstiger sein können. Jilly musste Dylan finden, und die Vögel, ob wirklich oder nicht, behinderten ihre Suche.
    » Ha! « , schrie jemand ganz in der Nähe, und eine Sekunde später ertastete Jilly links von sich die offene Tür, die der wimmelnde Schwarm vor ihrem Blick verborgen hatte.
    Sie trat über die Schwelle, und die Vögel verschwanden. Vor ihr lag ein von einer einzelnen Lampe erleuchtetes Schlafzimmer. Und da war auch Dylan, der mit einem Baseballschläger bewaffnet war. Ein junger Mann – Kenny? – und ein halbwüchsiges Mädchen, beide mit Messern in der Hand, hatten ihn in die Zange genommen.
    Der Baseballschläger sauste zischend durch die Luft, der junge Mann schrie auf. und das abscheulich scharfe Messer flog ihm aus der Hand und landete klappernd an einer Kommode aus Walnussholz.
    Während Dylan den Schläger schwang, spannte das Mädchen hinter ihm die Muskeln an und ging kurz noch etwas tiefer in die Hocke. In dem Moment, in dem Kenny vor Schmerz aufschrie, brachte sie das Messer wieder in eine stoßbereite Position. Bestimmt wollte sie jetzt vorwärts springen und es Dylan in den Leib stoßen, bevor der sich umdrehen konnte, um sich mit ihr zu befassen.
    Jilly setzte sich in Bewegung, noch während das Mädchen aus der Hocke kam. » Polizei! « , brüllte sie.
    Gelenkig wie ein Affe, wirbelte das Mädchen zu ihr herum, sprang jedoch gleichzeitig zur Seite, um Dylan im Blick zu behalten und ihm nicht etwa den Rücken zuzukehren. Ihre Augen waren so blau wie ein mit Putten geschmückter Himmel an einer Kirchendecke, aber darin funkelte ein Wahnsinn, der gewiss auf Psychosen fördernde Drogen zurückzuführen war.
    Endlich fühlte sich Jilly wie eine echte Amazone des Südwestens. Da sie jedoch zu zart besaitet war, um das Augenlicht des Mädchens zu gefährden, zielte sie mit dem Ameisenspray ein Stückchen tiefer. Die Düse auf der Dose, die sie in der

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