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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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mit Tränen, Rotz und Spucke, aber immer noch gefährlich wirkend, gab er mehr Flüche und Kraftausdrücke als Sinnvolles von sich. Er verlangte, sofort ärztlich versorgt zu werden, und schwor Rache; und hätte man ihm die Gelegenheit dazu gegeben, hätte er womöglich noch bewiesen, ob seine Zähne nun schlangenspitz waren oder nicht.
    Die Drohung, Kenny den Schädel einzuschlagen, klang in Dylans Ohren zwar unecht, als er sie aussprach, aber der junge Bursche schien sie trotzdem ernst zu nehmen, möglicherweise weil er bei vertauschten Rollen selbst nicht gezögert hätte, Dylan seinerseits den Schädel zu zertrümmern. Nachdem er dazu aufgefordert worden war, fischte er dann auch die Schlüssel von Handschellen und Vorhängeschloss aus einer seiner bestickten, mit Perlmuttknöpfen verzierten Brusttaschen.
    Jilly schien sich dagegen zu sträuben, Dylan in den Flur zu folgen, als befürchtete sie, dass sich dort draußen andere Missetäter aufhielten, gegen die man sich mit Insektenvertilgungsmittel nur unzureichend wehren konnte. Dylan versicherte ihr, dass unter dem hiesigen Dach Becky und Kenny die Summe allen Übels seien. Trotzdem zog sie die Schultern ein, während sie ihm zögernd über den Flur folgte, um ins Zimmer des gefesselten kleinen Bruders zu gelangen. Vor Furcht halb geblendet, blickte sie wiederholt zum Fenster am Ende des Flurs, als hätte sich dort ein gespenstisches Gesicht ans Glas gedrückt.
    Während Dylan den Jungen befreite, erklärte er, Becky fehle die moralische Reife, um an der Wahl zur Miss Teen America teilzunehmen, und dann gingen sie zu dritt hinunter in die Küche.
    Marge stürzte von der Veranda herein, um ihren Enkel in die Arme zu nehmen. Während sie sein blaues Auge bejammerte, verschwand Travis fast in den kuschelweichen bunten Streifen.
    Dylan wartete, bis der Junge sich halbwegs aus der Umarmung gelöst hatte, dann sagte er: » Becky und Kenny brauchen einen Arzt … «
    » … und eine Gefängniszelle, bis das Sozialamt sich um sie kümmert … «, fügte Jilly hinzu.
    » … aber lasst uns zwei, drei Minuten, bevor ihr das Auge des Gesetzes ruft «, schloss Dylan.
    Diese Anweisung schien Marge zu verblüffen. » Aber das seid ihr doch selbst! «
    Jilly parierte den Einwand. » Wir haben zwar ein Auge auf das Gesetz, aber sein Auge sind wir keineswegs. «
    Das verblüffte Marge noch mehr, wohingegen Travis sich amüsiert zeigte. » Wir lassen euch Zeit abzuhauen «, sagte der Junge. » Aber das Ganze ist echt abgefahren, total krass. Wer zum Geier seid ihr beiden? «
    Dylan fiel keine Antwort ein, aber Jilly sagte: » Keine Ahnung. Heute Nachmittag hätten wir dir noch sagen können, wer wir sind, aber momentan haben wir selbst nicht den leisesten Schimmer. «
    In gewissem Sinne war diese Antwort wahr und bitterernst, aber sie führte nur dazu, dass Marge eine noch verblüfftere Grimasse schnitt, während der Junge immer breiter grinste.
    Von oben flehte Kenny laut um Hilfe.
    » Ihr solltet lieber los «, sagte Travis.
    » Ihr wisst nicht, wie wir gekommen sind, habt unseren Wagen nie gesehen. «
    » Genau «, sagte Travis.
    » Und ihr tut uns den Gefallen, uns bei der Abfahrt nicht zuzuschauen. «
    » Soviel wir wissen «, sagte Travis, » habt ihr Anlauf genommen und seid einfach davongeflogen. «
    Dylan hatte um lediglich drei Minuten gebeten, weil Marge und Travis Schwierigkeiten gehabt hätten, der Polizei eine längere Verzögerung zu erklären; aber wenn Shep sich davongemacht hatte, waren sie geliefert. Drei Minuten würden nicht ausreichen, um ihn zu finden.
    Bis auf den Windhauch in den Olivenbäumen war die Straße still. Kennys gedämpfte Schreie von innen reichten nicht bis zu den Nachbarhäusern.
    Am Bordstein wartete der Expedition mit geöffneter Fahrertür. Jilly hatte die Scheinwerfer ausgeschaltet und den Motor abgestellt.
    Schon während sie den Rasen überquerten, sah Dylan seinen Bruder auf dem Rücksitz. Sheps Gesicht war vom Schein einer kleinen, batteriebetriebenen Leselampe erleuchtet, der von dem Buch zurückgeworfen wurde, in dem er gerade las.
    » Hab ich es nicht gesagt? «, meinte Jilly.
    Dylan war so erleichtert, dass er sie nicht anschnauzte.
    Durch das staubige Seitenfenster war der Titel des Buchs erkennbar; Große Erwartungen von Charles Dickens. Shep war ein großer Dickens-Fan.
    Dylan setzte sich hinters Lenkrad und schlug die Tür zu. Er schätzte, dass eine gute halbe Minute vergangen war, seit sie Travis gesagt hatten, er solle die

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