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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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der jungen Dame, die sie am Eingang begrüßt hatte, zu ihrem Tisch geführt wurden.
    In Lokalen saß Shep nicht gern am Fenster, weil er nich t » von Leuten drinnen und Leuten draußen « beobachtet werden wollte, wie er sagte. Dylan hatte aus diesem Grund eine Nische abseits der Fenster verlangt. Er setzte sich neben seinen Bruder, während Jilly auf der anderen Seite des Tisches Platz nahm.
    Angesichts dessen, was sie durchgemacht hatten, sah Jilly erstaunlich frisch aus – und wirkte bemerkenswert ruhig für eine Frau, deren Leben aus den Fugen geraten war und deren Zukunft so schwer zu entziffern war wie ein Haufen Teeblätter in einem dunklen Zimmer. Ihre Schönheit war nicht von der billigen Sorte, sondern würde sich im Laufe der Jahre bestimmt gut halten; auch wenn sie oft in einen schweren Regen kam, würde sie ihre Farbe in mehr als einem Sinn bewahren.
    Als Dylan nach der Speisekarte griff, die die Kellnerin vor ihn auf den Tisch gelegt hatte, erschauerte er, als hätte er einen Eisklumpen angefasst, und legte sie sofort wieder weg. Vorangegangene Gäste hatten eine lebendige Patina aus Emotionen, Wünschen, Gier und Hunger hinterlassen, die sich nun auf dem Plastikeinband der Speisekarte krümmte und wand. Wie Entladungen statischer Elektrizität zuckte sie Dylan knisternd an die Haut. Sie war viel stärker als das, was er auf dem Türgriff gespürt hatte.
    Auf der Fahrt nach Norden hatte er Jilly von den psychischen Spuren erzählt, weshalb sie nun sofort begriff, weshalb er die Speisekarte so abrupt weggelegt hatte. » Ich lese Ihnen meine vor «, sagte sie.
    Dylan merkte, dass er Jilly gern betrachtete, während sie las, so gern, dass er sich wiederholt ermahnen musste, ihrer Rezitation von Salaten, Suppen, Sandwiches und Hauptgerichten zu folgen. Irgendwie beruhigte ihn ihr Gesicht auf gleiche Weise, wie Große Erwartungen Shep beruhigte.
    Während er Jilly zuhörte, legte Dylan die flachen Hände auf seine Speisekarte. Wie er nach seinem Erlebnis an der Restauranttür erwartet hatte, flaute der anfänglich schäumende Ansturm seltsamer Eindrücke bald zu einem ruhigen Brodeln ab. Er merkte, wie er diese unheimlichen Empfindungen durch bewusste Anstrengung vollständig unterdrücken konnte.
    Nachdem Jilly ihm die letzten kulinarischen Alternativen mitgeteilt hatte, hob sie den Blick, sah auf Dylans Hände, di e a uf seiner Speisekarte lagen, und schien messerscharf zu erkennen, dass er dem Verlesen der Speisenfolge nur zugestimmt hatte, um sie ungeniert betrachten zu können, ohne zu riskieren, dass sein Blick erwidert wurde. Nach ihrem diffusen Gesichtsausdruck zu urteilen, hatte sie gemischte Gefühle, was die möglichen Konsequenzen seines forschenden Blicks betraf, aber zu ihrer Reaktion gehörte zumindest auch ein entzückendes, wenngleich unsicheres Lächeln.
    Bevor einer der beiden ein Wort sagen konnte, kehrte die Kellnerin zurück. Jilly ließ eine Flasche Bier, Marke Sierra Nevada, kommen; Dylan bestellte Essen für Shep und sich selbst und bat darum, Sheps Gericht fünf Minuten vor seinem zu servieren.
    Shep las inzwischen einfach weiter. Große Erwartungen lag aufgeklappt auf dem Tisch vor ihm, die Leselampe hatte er ausgeknipst. Mit krummem Rücken hatte er das Gesicht den Seiten bis auf eine Handspanne angenähert, obwohl er keineswegs weitsichtig war. In Gegenwart der Kellnerin bewegte er die Lippen, während er die Augen über die Zeilen voller Druckbuchstaben gleiten ließ. Es war seine Methode, sie zart darauf hinzuweisen, dass er beschäftigt war und dass es unhöflich gewesen wäre, ihn anzusprechen.
    Weil keine anderen Gäste in der Nähe saßen, hatte Dylan keine Bedenken, die Lage zu besprechen. » Jilly, Ihr Metier ist doch die Sprache, stimmt ’ s? «
    » Das könnte man wohl sagen. «
    » Was bedeutet folgendes Wort: psychotrop? «
    » Wieso ist das so wichtig? «
    » Frankenstein hat es verwendet. Er hat gesagt, das Zeug, also das Zeug in der Spritze, sei psychotrop. «
    Ohne von seinem Buch aufzublicken, sagte Shep: » Psychotrop. Mentale Vorgänge, Verhalten und Wahrnehmung beeinflussend. Psychotrop. «
    » Danke, Shep. «
    » Psychotrope Drogen: Tranquilizer, Sedativa, Antidepressiva. Psychotrope Drogen. «
    Jilly schüttelte den Kopf. » Ich glaube nicht, dass dieses sonderbare Zeug so etwas war. «
    » Psychotrope Drogen «, führte Shep weiter aus, » Opium, Morphium, Heroin, Methadon. Barbiturate, Meprobamate. Amphetamin, Kokain. Meskalin, Marihuana, LSD, Sierra

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