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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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direkten Kontakt tausendmal intensiver war als bei der Berührung eines Abdrucks, dann würde seine Gewalt ihn wohl unweigerlich auf die Knie zwingen.
    Dylan erinnerte sich nicht mehr daran, ob er Marjorie berührt hatte, als er sie neben dem mit Pillen übersäten Küchentisch vorgefunden hatte, aber er glaubte nicht, dass dem so war. Und Kenny? Nachdem Dylan mit dem Baseballschläger zu r V ergeltung geschritten war, hatte er von dem wimmernden Messerhelden die Schlüssel für Handschellen und Vorhängeschloss gefordert, doch nachdem Kenny sie aus seiner Brusttasche gefischt hatte, hatte dieser sie Jilly gegeben. Soweit Dylan wusste, hatte er den miesen kleinen Feigling nicht angefasst.
    Dessen ungeachtet gab es keine Möglichkeit, Tanners Hand abzuweisen, ohne dem zerbrechlichen Kontakt, der mittlerweile entstanden war, Schaden zuzufügen. Also ergriff Dylan sie – und stellte fest, dass alles, was ihm der psychische Abdruck des Alten so deutlich vermittelt hatte, an ihm selbst nicht in derselben Weise, ja sogar gar nicht wahrzunehmen war. Der Mechanismus von Dylans sechstem Sinn war offenbar nicht weniger mysteriös als sein Entstehen.
    » Es ist jetzt bald ’ nen Monat her, seit ich in die Gegend hier gekommen bin «, sagte Tanner. » Von oben aus Wyoming. Hatte ’ ne ganze Reihe Tipps bekommen, aber die waren so viel wert wie Mückenpisse. «
    Dylan streckte die Hand aus, um den Griff der Fahrertür zu berühren.
    » Hab ganz Arizona abgeklappert, und jetzt bin ich auf dem Weg nach Hause, wo ich am besten gleich hätte bleiben sollen. «
    An dem psychischen Abdruck spürte Dylan wieder die Öde einer ausgebrannten Seele, die Aschenberge, die düstere Welt aus namenloser Einsamkeit, wie er sie auch an der Tür des Restaurants vorgefunden hatte.
    Ohne die Worte bewusst zu bilden, hörte Dy lan sich fragen: »Wie lange ist es her, seit Ihre Frau gestorben ist?«
    Wieder kniff der Alte bedrohlich die Augen zusammen, was darauf hinwies, dass er noch immer argwöhnte, he reingelegt zu werden. Allerdings verlieh die Relevanz der Frage Dylan wohl doch ein wenig Glaubwürdigkeit. » Emily ist jetzt acht Jahre tot «, sagte Tanner in dem sachlichen Ton, zu dem die Männer seiner Generation sich verpflichtet fühlten, wenn sie ihre zärtlichsten Gefühle verbergen wollten. Die blauen Augen hinter dem schmalen Spalt der Lider hingegen verrieten die unendliche Tiefe seines Grams.
    Durch irgendwelche hellseherischen Fähigkeiten hatte Dylan gewusst, dass die Frau dieses Fremden tot war; er hatte es gewusst, statt es nur zu ahnen, hatte die Verwüstung, die dieser Tod in Tanner angerichtet hatte, voll und ganz wahrgenommen. Nun fühlte er sich wie ein dreister Eindringling, der die intimsten Ecken eines fremden Hauses ausspionierte, wie ein Schnüffler, der verstohlen fremde Tagebücher aufschlug, um die Geheimnisse anderer zu verschlingen. Dieser abstoßende Aspekt seiner unheimlichen Begabung überwog das Hochgefühl, das er nach der erfolgreichen Konfrontation in Marjories Haus verspürt hatte, aber dennoch konnte er die unvermuteten Enthüllungen nicht unterdrücken. Wie Luftblasen an einer sprudelnden Quelle stiegen sie ihm ins Bewusstsein.
    » Vor zwölf Jahren haben Sie und Emily damit angefangen, nach dem Mädchen zu suchen «, sagte Dylan, obwohl er nicht wusste, um welches Mädchen es sich handelte und weshalb sie es gesucht hatten.
    Der Kummer auf Tanners Gesicht wich ungläubigem Erstaunen. » Woher wissen Sie diese Dinge? «
    » Ich habe von einem Mädchen gesprochen, aber damals muss sie schon achtunddreißig gewesen sein. «
    » Jetzt wäre sie fünfzig «, bestätigte Tanner. Einen Moment lang schien die Zahl der verlorenen Jahrzehnte ihn mehr zu verblüffen als das Wissen, das Dylan auf geheimnisvolle Weise aus dem Ärmel geschüttelt hatte. » Fünfzig. Mein Gott, wo sind die Jahre hin? «
    Als Dylan den Türgriff losließ, zog eine unbekannte, aber stärkere Kraft ihn von dem Wagen weg. Sofort setzte er sich wieder in Bewegung. Erst dann drehte er sich nach Tanner um und rief: » Hier lang! «, als hätte er eine Ahnung gehabt, wo er hinwollte.
    Zweifellos riet die Vernunft dem Alten, in seinen Wagen zu steigen und die Türen zu verriegeln, aber nun hatte sich offenbar sein Herz gemeldet, und die Vernunft hatte kaum noch Einfluss auf ihn. » Erst haben wir gedacht, wir würden sie früher oder später bestimmt finden «, sagte er, während er an Dylans Seite eilte. » Dann haben wir gemerkt, dass das

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