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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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fahren. Okay? «
    » Okay «, sagte Shep.
    » Lesen und fahren. «
    » Lesen und fahren «, wiederholte Shep. Obwohl er noch immer zitterte, war die qualvolle Spannung aus seiner Stimme gewichen. » Lesen und fahren. «
    Während Dylan damit beschäftigt gewesen war, seinen Bruder zu beruhigen, hatte der seine Hände so energisch abgerubbelt, dass die Handtücher gänzlich zerrissen waren. Der Boden vor ihm war mit feuchten Papierfetzen übersät.
    Dylan hielt Sheps Hände fest, bis sie endlich aufhörten zu zittern.
    Behutsam bog er die zur Faust geballten Finger auf und säuberte sie von den Resten der Papierhandtücher, die er zu einem Klumpen zusammenballte und in den Abfalleimer warf.
    Dann legte er Shep die flache Hand unters Kinn und hob den Kopf an.
    Sobald sich ihre Blicke trafen, schloss Shep die Augen.
    » Alles in Ordnung? «, fragte Dylan.
    » Lesen und fahren. «
    » Ich bin bei dir, Shep. «
    » Lesen und fahren. «
    In Sheps schneeige Wangen war wieder etwas Farbe zurückgekehrt. Allmählich glätteten sich auch die angstvollen Falten im Gesicht wie Krähenspuren im Schnee, die der Wind verwehte.
    Äußerlich erschien Shep nun vollkommen ruhig, innerlich blieb er jedoch sichtlich aufgewühlt. Seine fest geschlossenen Augen zuckten hinter den bleichen Lidern, während sie in einer Welt, die nur er allein sehen konnte, von einem Bild zum andern sprangen.
    » Lesen und fahren «, wiederholte Shep, als wären die drei Worte ein besänftigendes Mantra.
    Dylan betrachtete die Reihe der Kabinen. Die Tür der vierten hatte er offen stehen lassen, nachdem er hineingeschaut hatte. Auch die Türen der beiden mittleren Kabinen standen offen, aber die der ersten war fest verschlossen.
    » Lesen und fahren «, sagte Shep.
    » Lesen und fahren «, versicherte ihm Dylan. » Ich hol dir dein Buch. «
    Er ließ seinen Bruder neben dem Handtuchspender stehen und ging zu der Ablage über den Waschbecken, um Dickens ’ Große Erwartungen zu holen.
    Shep ließ den Kopf gehoben, obwohl Dylans stützende Hand verschwunden war. Seine Augen waren geschlossen und bewegten sich weiterhin.
    Mit dem Buch in der Hand ging Dylan zur ersten Kabine und drückte die Klinke herunter. Die Tür ging nicht auf.
    » Hier, dort «, flüsterte Shep. So, wie er dastand – mit geschlossenen Augen, schlaff herabhängenden Armen und nach vorn zeigenden Handflächen – sah er aus wie nicht von dieser Welt, wie ein Medium in Trance, das von der Membran zwischen dem Diesseits und dem Jenseits in zwei Teile zerschnitten wurde. Hätte er über dem Boden geschwebt, hätte das so perfekt zu dem Bild gepasst, das er nun bot, dass man über den Anblick kaum überrascht gewesen wäre. Seine Stimme blieb zwar als seine eigene erkennbar, aber er schien irgendwie im Auftrag eines Geistes zu sprechen, den man bei einer Séance aus dem Jenseits gerufen hatte: » Hier, dort. «
    Dylan wusste, dass niemand in der ersten Kabine sein konnte. Trotzdem beugte er ein Knie und lugte unter der Tür hindurch, um sich einer Sache zu vergewissern, deren er schon sicher war.
    » Hier, dort. «
    Er stand auf und drückte noch einmal auf die Klinke. Die Tür klemmte nicht nur etwa, sie war richtig verschlossen. Von innen natürlich.
    Ein schadhaftes Schloss vielleicht. Womöglich war der Riegel locker und hatte sich von selbst geschlossen, obwohl niemand in der Kabine gewesen war.
    Vielleicht war Shepherd ja auch tatsächlich erst zu dieser Kabine getreten, wie Dylan es gesehen hatte, hatte sie jedoch verschlossen vorgefunden und war gleich zur vierten weitergegangen, ohne dass es Dylan aufgefallen war.
    » Hier, dort. «
    Das Frösteln schlich sich erst in Dylans Knochen ein, nicht etwa zuerst in die Haut, und strahlte dann vom Innern aller Glieder in den ganzen Körper aus. Es war eine Angst, die ihm durch Mark und Bein ging, aber nicht nur das allein: Sie sorgte auch für ein nicht völlig unangenehmes Erschauern, die ehrfürchtige Erwartung eines geheimnisvollen Ereignisses, das immer näher rückte. Er spürte es, wie ein unter schwarzen Wolken dahinfliegender Sturmvogel ein herrliches Gewitter schon spüren konnte, bevor Blitz und Donner die Wahrnehmung erreichten.
    Staunend sah er in den Spiegel über den Waschbecken und war irgendwie darauf vorbereitet, gleich einen anderen Raum zu sehen als die Toilette, in der er stand. Seine Erwartung von Wundern überstieg jedoch die Fähigkeit des Augenblicks, Wunder zu liefern, weshalb die Reflexion nur die banalen Fakten von

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