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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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aber ein vollständiges Bild war es keineswegs.
    Oder vielleicht doch?
    Während Dylan die Windschutzscheibe putzte und sich dabei über Skippers anzügliche Blicke ärgerte, überlegte er, ob das Einzige, was er über Jilly wusste, womöglich alles war, was er wissen musste. Eines war klar, sie verdiente sein Vertrauen, und vielleicht entwickelte sich alles, worauf es in einer Beziehung ankam, aus dem Vertrauen heraus – aus dem gelassenen Glauben an den Mut, die Integrität und die Liebenswürdigkeit des anderen.
    Jetzt verlor er aber wirklich den Verstand. Offenbar hatte das psychotrope Zeug sein Gehirn in mehr als einer Weise durcheinander gebracht. Da überlegte er doch tatsächlich, sein Leben mit einer Frau zu verbringen, die ihn jetzt schon für eine Figur aus einem Mickymausheft hielt, für eine Art zuckersüß plapperndes Streifenhörnchen.
    Sie waren kein Paar. Sie waren noch nicht einmal Freunde. In so wenigen Stunden konnte man eigentlich nicht richtig Freundschaft schließen. Bestenfalls waren sie zwei Überlebende, zwei Opfer desselben Schiffbruchs, die ein gemeinsames Interesse daran hatten, sich über Wasser zu halten und auf die Haie zu achten.
    Was Jilly Jackson anging, fühlte er also eher keine Eifersucht. Es war nur ein Beschützerinstinkt wie gegenüber Shep. So hätte er sich auch gegenüber einer Schwester gefühlt, wenn er eine gehabt hätte. Eine Schwester. Ja, genau.
    Als Skipper das versprochene Bargeld entgegennahm, hatte seine Laune sich erneut gebessert, von missmutig über mürrisch zu nur noch muffelig. Ohne auch nur so zu tun, als wollte er das Geld in der Kasse deponieren, ließ er es mit einem verkniffenen Blick, der gehässige Genugtuung ausdrückte, in seiner Geldbörse verschwinden.
    Der Kraftstoff hatte vierunddreißig Dollar gekostet, aber Dylan hatte dem Tankwart zwei Zwanziger gegeben und gesagt, er solle den Rest behalten. Er wollte das Wechselgeld nicht, weil sich auf den Scheinen Skippers psychischer Abdruck befunden hätte.
    Schon vorher hatte Dylan darauf geachtet, weder die Zapfsäulen noch irgendetwas anderes zu berühren, worauf der Tankwart eine Spur hinterlassen haben konnte. Er wollte nichts über die Natur von Skippers Seele wissen, wollte nicht spüren, wie dieses schäbige Leben voll belangloser Diebstähle und belangloser Feindseligkeiten beschaffen war.
    Was die Menschheit anging, war Dylan der Optimist geblieben, der er schon immer gewesen war. Er mochte die Menschen, aber für heute hatte er genug von ihnen.
    *
    Während sie von Globe aus nordwärts durch die Apache Mountains fuhren, wo sich im Osten das Indianerreservat San Carlos ausbreitete, merkte Jilly allmählich, dass sich zwischen ihr und Dylan O ’ Conner etwas verändert hatte. Sein Verhalten ihr gegenüber war nicht mehr ganz dasselbe. Häufiger als zuvor wandte er den Blick von der Straße ab, um Jilly zu betrachten. Da er das unauffällig zu tun glaubte, tat sie so, als bemerkte sie es nicht. Zwischen Dylan und Jilly floss eine neue Energie, die sie noch nicht genau bestimmen konnte.
    Irgendwann kam sie zu dem Schluss, dass sie einfach zu müde, zu erschöpft und zu gestresst war, um ihrer Wahrnehmung vertrauen zu können. Nach dieser ereignisreichen Nach t h ätten gewöhnlichere Sterbliche als Jillian Jackson, professionelle Amazone des Südwestens, womöglich völlig den Verstand verloren, weshalb ein bisschen Paranoia nicht weiter beunruhigend war.
    Zwischen Safford und Globe hatte Dylan ihr von dem Zusammenstoß mit Lucas Crocker berichtet. Auch die Geschichte von Ben Tanner und seiner Enkeltochter hatte er erzählt. Die Art und Weise, wie sein sechster Sinn dabei funktioniert hatte, war eindeutig erfreulicher für ihn, als in die verrottete, psychotische Welt von Leuten wie Crocker oder Kenny dem Messerhelden hineingezogen zu werden.
    Während die Lichter von Globe in der Ferne verschwanden und Shep sich still weiter mit Große Erwartungen beschäftigte, erzählte sie Dylan von dem beunruhigenden Erlebnis, das sie in der Damentoilette des Restaurants in Safford gehabt hatte.
    Als sie sich an einem der Waschbecken die Hände eingeseift hatte, hatte sie in den Spiegel geschaut und ein Abbild des Raumes gesehen, das in allen Einzelheiten naturgetreu war – mit einer Ausnahme. Anstelle der Toilettenkabinen standen da drei Beichtstühle aus dunklem Holz; die geschnitzten Kreuze über den Türen waren mit leuchtendem Blattgold verziert.
    » Ich hab mich umgedreht, um direkt hinzuschauen,

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