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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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todmüde, hohläugig und litt an brutalen Kopfschmerzen.
    Um zehn nach drei Uhr morgens hatten sie das wichtigste Gepäck endlich ins Zimmer geschafft. Shep wollte seinen Roman mitnehmen, und Dylan fiel auf, dass sein Bruder zwar scheinbar während der ganzen Fahrt nach Norden in das Buch versunken gewesen war, sich aber immer noch auf derselben Seite befand, die er im Restaurant in Safford gelesen hatte.
    Jilly ging als Erste ins Bad, und als sie mit geputzten Zähnen bettfertig wieder herauskam, trug sie noch immer ihre Straßenkleidung. » Kein Schlafanzug heute Nacht. Ich will bereit sein, wenn wir überraschend abhauen müssen. «
    » Gute Idee «, sagte Dylan.
    Shep hatte auf diese Nacht voller Chaos und gestörter Routine mit erstaunlichem Gleichmut reagiert, weshalb Dylan ihn nicht noch mehr belasten wollte, indem er ihn zwang, auf seine gewohnten Schlafsachen zu verzichten. Ein Tropfen zu viel, und Shep konnte aus seinem stoischen Schweigen in einen reißenden Redefluss verfallen, der womöglich stundenlang anhielt, sodass keiner ein Auge zutun konnte.
    Außerdem trug Shep im Bett und außerhalb so ziemlich dasselbe. Seine Tagesgarderobe bestand aus einer Sammlung identischer weißer T-Shirts mit dem Porträt von Wile E. Coyote und einer Sammlung identischer Bluejeans. Nachts zog er ein frisches Coyote-T-Shirt und eine schwarze Pyjamahose an.
    In einem Zustand hysterischer Verzweiflung wegen der Entscheidungen, die jeden Morgen beim Anziehen zu treffen waren, hatte Shep vor sieben Jahren erfolgreich gegen eine wechselnde Garderobe rebelliert. Seither trug er nur noch Jeans und Wile E.
    Wieso ihn der schurkische Kojote derart faszinierte, war nicht ganz klar. War er allerdings in Stimmung für ein Zeichentrickgemetzel, sah er sich stundenlang Road-Runner-Videos an. Manchmal lachte er dabei vor Begeisterung, manchmal folgte er der Handlung so ernst, als handelte es sich um einen depressiven skandinavischen Problemfilm, und bisweilen sah er auch ruhig und mit abgrundtiefem Kummer zu, während ihm Tränen die Wangen hinabliefen.
    Shepherd O ’ Conner war ein von Rätseln umhülltes Geheimnis, wenngleich sich Dylan nicht immer sicher war, ob die Rätsel überhaupt eine Lösung hatten und ob das Geheimnis irgendeine Bedeutung besaß. Die großen Steinhäupter der Osterinsel stellten natürlich ebenso eines der größeren Rätsel der Welt dar, wie sie mit geheimnisvollem Blick aufs Meer hinausstarrten, aber die waren immerhin innen wie außen aus Stein.
    Nachdem Shep die Zähne zweimal gebürstet und zweimal mit Zahnseide behandelt hatte, und nachdem er sich zweim al vor und zweimal nach dem Gang auf die Toilette die Hände gewaschen hatte, kam er ins Schlafzimmer zurück. Er setzte sich auf die Bettkante und zog seine Schlappen aus.
    » Du hast noch deine Socken an «, sagte Dylan.
    Shepherd schlief immer barfuß, aber als Dylan sich nun hinkniete, um ihm die Socken auszuziehen, schwang sein Bruder die Beine einfach ins Bett und zog die Decke bis unters Kinn.
    Abweichungen von der Routine wurden Shep aufgezwungen und brachten ihn immer gewaltig aus der Fassung; von sich aus entschloss er sich nie dazu.
    » Alles in Ordnung, Kleiner? «, fragte Dylan besorgt.
    Shepherd schloss die Augen. Über das Thema Socken würde kein Wort mehr verloren werden.
    Vielleicht hatte er kalte Füße. Die ins Fenster eingebaute Klimaanlage kühlte den Raum nicht etwa gleichmäßig, sondern blies lediglich einen eisigen Luftstrom über den Boden.
    *
    Vielleicht machte er sich auch Sorgen wegen der Keime. Keime auf dem Teppichboden, Keime auf dem Bettzeug, aber nur Keime, von denen die Füße infiziert wurden.

    W enn man eines jener Steinhäupter auf der Osterinsel ausgrub, entdeckte man vielleicht, dass in der Erde der Rest einer riesigen Statue steckte; und wenn man bis zu deren Füßen vorgedrungen war, trug sie womöglich steinerne Socken. Das wäre dann ebenso schwer zu erklären gewesen wie Sheps neue Vorliebe für Bettsocken.
    Dylan hatte einen derartigen Brummschädel und war so hundemüde, dass es ihm momentan egal war, was das psychotrope Zeug in seinem Gehirn veranstaltete. Für Shepherds Socken galt letztlich dasselbe. Er ging ins Badezimmer, und als er das abgespannte, verstörte Gesicht sah, das ihm aus dem Spiegel entgegenblickte, fuhr er erschrocken zurück.
    J illy lag in ihrem Bett und starrte an die Decke.
    Shep lag in seinem Bett und starrte an die Innenseite seiner Augenlider.
    Das Summen und Rumpeln der

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