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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Tampa und, gut einen Monat nach der Clutter-Tragödie, Schauplatz des auf einer abgelegenen Ranch verübten Mordes, von dem Smith am Weihnachtstag in Miami aus der Zeitung erfahren hatte. Bei den Opfern handelte es sich ebenfalls um eine vierköpfige Familie: ein junges Ehepaar, Mr. und Mrs. Clifford Walker, und ihre beiden Kinder, ein Junge und ein Mädchen, die allesamt durch Kopfschüsse mit einem Gewehr getötet worden waren. Da die Clutter-Killer am Mordtag, dem 19. Dezember, in einem Hotel in Tallahassee übernachtet hatten, war der Sheriff von Osprey, der bislang völlig im Dunkeln tappte, verständlicherweise daran interessiert, dass die beiden Männer verhört und einem Polygrafentest unterzogen wurden. Hickock war einverstanden, und auch Smith willigte ein und gab zu Protokoll: »Ich habe damals noch zu Dick gesagt, ich wette, das war irgendein Spinner, der was über die Sache hier in Kansas gelesen hat. Ein Verrückter.« Die Testergebnisse waren, zur Enttäuschung des Sheriffs von Osprey und zum Ärger Alvin Deweys, der an außergewöhnliche Zufälle nicht glaubt, eindeutig negativ. Der Mörder der Familie Walker wurde nie gefasst.
     
    Sonntag, 31. Januar. Dick hatte Besuch von seinem Vater.  Ich habe gegrüßt, als er (an der Zellentür) vorbeikam, aber er ging einfach weiter. Vielleicht hat er mich nicht gehört.
    Mrs M(eier) hat mir erzählt, dass Mrs H(ickock) nicht mitgekommen ist, weil sie es nicht erträgt. Es schneit wie verrückt. Letzte Nacht habe ich geträumt, ich wäre mit Dad in Alaska – und bin in einer kalten Urinpfütze aufgewacht!!!
     
    Mr. Hickock blieb drei Stunden bei seinem Sohn. Danach stapfte er durch den Schnee zum Bahnhof von Garden City, ein abgearbeiteter alter Mann, gebeugt und ausgezehrt vom Krebs, der ihn in wenigen Monaten das Leben kosten sollte. Während er am Bahnsteig auf den Zug nach Hause wartete, sprach er mit einem Reporter: »Mhhm, ich bin bei Dick gewesen. Wir haben uns lange unterhalten. Und ich garantiere Ihnen, es ist nicht ein Wort wahr von dem, was die Leute reden. Oder was in der Zeitung steht. Die Jungs sind nicht da hingefahren, um jemand zu ermorden. Mein Junge jedenfalls nicht. Er ist bestimmt kein Engel, aber er hat einen guten Kern. Smitty war’s. Dick hat mir erzählt, er hätte gar nicht mitgekriegt, wie Smitty dem Mann (Mr. Clutter) die Kehle durchgeschnitten hat. Er war nämlich gar nicht dabei. Er ist erst hingelaufen, wie er komische Geräusche gehört hat. Dick hatte das Gewehr, und dann, sagt er, hat ›Smitty mir die Flinte aus der Hand gerissen und ihm einfach die Birne weggepustet. Dad‹, hat er gesagt, ›Dad, ich hätte ihm die Knarre abnehmen und Smitty übern Haufen schießen sollen. Ihn umlegen, damit er den Rest der Familie nicht auch noch umlegt. Dann würde ich jetzt entschieden besser dastehen‹. Das will ich wohl meinen. Nur so wies im Augenblick aussieht, bei der Stimmung im Lande, hat er nicht die geringste Chance. Sie werden sie beide hängen. Und«, setzte er hinzu, und Resignation trübte seine müden Augen, »zu wissen, dass der eigene Sohn gehängt wird, das ist das Schlimmste, was einem Mann passieren kann.«
    Weder Perry Smiths Vater noch seine Schwester schrieben ihm oder kamen ihn besuchen. Tex John Smith schürfte angeblich irgendwo in Alaska Gold – dennoch war es den Behörden trotz größter Anstrengungen nicht gelungen, ihn ausfindig zu machen. Die Schwester hatte den Ermittlern gesagt, sie habe Angst vor ihrem Bruder, und sie gebeten, ihre derzeitige Adresse unter allen Umständen geheim zu halten. (Als er davon erfuhr, verzog Smith die Lippen zu einem leisen Lächeln und sagte: »Ich wünschte, sie wäre in der Nacht mit in dem Haus gewesen. Eine traumhafte Vorstellung!«) Abgesehen von dem Eichhörnchen, abgesehen von den Meiers und gelegentlichen Unterredungen mit seinem Anwalt Mr. Fleming war Perry mutterseelenallein. Dick fehlte ihm. Denke viel an Dick, schrieb er eines Tages in sein provisorisches Tagebuch. Seit ihrer Verhaftung war ihnen jeglicher Kontakt verboten, und außer seiner Freiheit wünschte er sich nichts sehnlicher als das – endlich wieder mit Dick sprechen, mit ihm Zusammensein zu können. Dick war keinesfalls der »harte Knochen«, für den er ihn einst gehalten hatte: »pragmatisch«, »männlich«, »ein echter Draufgänger«; er hatte sich vielmehr als »ziemlich schwach und oberflächlich« erwiesen, als »Feigling«. Dennoch war er von allen Menschen auf der Welt derjenige, dem

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