Kaltblütig
nahm er seine Mahlzeiten ein, dort fertigte er Zeichnungen von Red an, malte er Blumen, Christusgesichter und die Körper und Gesichter imaginärer Frauen; und dort notierte er auch, auf billigem liniertem Papier, die Ereignisse des Tages.
Donnerstag, 7. Januar. Dewey war hier. Mit einer Stange Zigaretten. Und Abschriften meiner Aussage, die ich unterschreiben sollte. Ich weigerte mich.
Die »Aussage«, ein achtundsiebzig Seiten langes Dokument, das er dem Gerichtsstenografen von Finney County diktiert hatte, entsprach im Großen und Ganzen seinem Geständnis gegenüber Alvin Dewey und Clarence Duntz.
Dewey war nach eigenen Angaben »sehr erstaunt«, als Perry es ablehnte, die Aussage zu unterzeichnen. »Es spielte im Grunde keine Rolle: Ich konnte jederzeit vor Gericht bezeugen, dass er vor Duntz und mir ein mündliches Geständnis abgelegt hatte. Außerdem hatten wir ja noch Hickocks unterschriebenes Geständnis aus Las Vegas – das, in dem er Smith beschuldigt, alle vier Morde begangen zu haben. Aber ich war neugierig. Ich fragte Perry, warum er es sich anders überlegt hätte. Und er sagte: ›Jedes Wort meiner Aussage ist wahr, bis auf zwei winzige Kleinigkeiten. Wenn ich die korrigieren darf, dann unterschreibe ich.‹ Tja, ich konnte mir schon denken, welche ›Kleinigkeiten‹ er meinte. Denn der einzige gravierende Unterschied zwischen Hickocks und seiner Geschichte bestand darin, dass er bestritt, die Clutters allein hingerichtet zu haben. Bislang hatte er stets beteuert, die beiden Frauen hätte Hickock umgebracht.
Und ich hatte recht! – genau das wollte er: zugeben, dass Hickock die Wahrheit gesagt und er, Perry Smith, die ganze Familie ermordet hatte. Angeblich hatte er gelogen, weil er es Dick, Zitat, ›heimzahlen wollte, dass er so ein Feigling war. Dass er das Maul aufgemacht und sich ausgekotzt‹ hatte. Aber nicht Hickock zuliebe wollte er das richtigstellen. Sondern einzig und allein aus Rücksicht auf Hickocks Eltern – er sagte, Dicks Mutter täte ihm leid.
›Sie ist eine herzensgute Frau‹, sagte er. ›Vielleicht ist es ihr ja ein kleiner Trost, zu wissen, dass Dick nicht abgedrückt hat; das alles wäre ohne ihn zwar nie passiert, insofern trägt er die Hauptschuld an der ganzen Sache, aber das ändert nichts daran, dass ich derjenige bin, der sie ermordet hat.‹ Aber ich traute ihm nicht über den Weg. Jedenfalls nicht so weit, dass ich ihn seine Aussage hätte ändern lassen. Wie gesagt, wir waren auf Smiths offizielles Geständnis nicht angewiesen. Wir hatten so oder so genug, um die beiden zehnmal an den Galgen zu bringen.«
Deweys Zuversicht speiste sich unter anderem aus der Sicherstellung des Radios und des Fernglases, die das Killerduo aus dem Clutter-Haus entwendet und später in Mexico City veräußert hatte (wo KBI-Agent Harold Nye, der eigens zu diesem Zweck dorthin geflogen war, sie in einer Pfandleihe entdeckte). Zudem hatte Smith beim Diktieren seiner Aussage Anhaltspunkte für den Verbleib weiterer, womöglich entscheidender Beweise geliefert.
»Wir nahmen den Highway Richtung Osten«, schilderte er ihre Flucht vom Tatort. »Wir fuhren wie der Teufel, Dick am Steuer. Ich glaube, wir waren beide wie berauscht. Ich jedenfalls. Berauscht und erleichtert zugleich.
Wir kriegten uns gar nicht mehr ein vor Lachen; plötzlich kam uns alles furchtbar komisch vor – warum, weiß ich auch nicht, einfach so. Aber das Gewehr war voller Blut, und meine Sachen waren blutbespritzt; sogar in meinen Haaren klebte Blut. Also bogen wir ab und fuhren auf einer schmalen Landstraße gut acht Meilen raus in die Prärie, wo man die Kojoten heulen hören konnte. Wir rauchten eine Zigarette, und Dick machte Witze über das, was in dem Haus passiert war. Ich stieg aus, saugte aus dem Kühlwasserbehälter etwas Wasser ab und wusch das Blut vom Gewehrlauf. Dann scharrte ich mit Dicks Jagdmesser, mit dem ich Mr. Clutter erledigt hatte, ein Loch in den Boden und vergrub die leeren Patronenhülsen und das restliche Nylonseil und Klebeband darin.
Danach ging es weiter, bis wir zur U.S. 83 kamen, wo wir nach Osten fuhren, Richtung Kansas City und Olathe. Bei Tagesanbruch hielt Dick an einem Rastplatz oder wie das heißt – wo man picknicken kann, mit Feuerstelle und so.
Wir machten ein Feuer und verbrannten dies und das.
Die Handschuhe, die wir getragen hatten, und mein Hemd. Dick meinte, er würde was drum geben, wenn er jetzt einen Ochsen braten könnte; er hätte noch nie so
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