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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Hickock, der beschämt aus seiner Lethargie aufschreckte, als er Dewey sagen hörte:
    »Einen Vorfall, von dem Smith mir erzählt hat, habe ich Ihnen bislang verschwiegen. Nämlich dass Hickock, nachdem sie die Familie Clutter gefesselt hatten, zu Smith sagte, wie gut Nancy Clutter doch gebaut sei und dass er sie vergewaltigen wolle. Smith sagte, er habe Hickock erklärt, das sei mit ihm nicht zu machen. Smith sagte mir, er habe etwas gegen Menschen, die sich sexuell nicht unter Kontrolle haben und dass er Hickock notfalls mit Gewalt daran gehindert hätte, sich an dem Mädchen zu vergehen.« Hickock hatte bislang nicht gewusst, dass sein Partner der Polizei von der versuchten Vergewaltigung berichtet hatte; auch ahnte er nicht, dass Perry seine ursprüngliche Geschichte in einem Anfall von Barmherzigkeit geändert hatte und nun behauptete, alle vier Opfer selbst erschossen zu haben – ein Umstand, den Dewey erst gegen Ende seiner Ausführungen erwähnte:
    »Perry Smith sagte mir, er wolle seine Aussage in zwei Punkten ändern. Der Rest entspräche voll und ganz der Wahrheit. Bis auf die fraglichen zwei Punkte. Womit er sagen wollte, dass nicht Hickock Mrs. Clutter und Nancy Clutter umgebracht habe, sondern er. Er sagte mir, dass Hickock … nicht sterben und seine Mutter in dem Glauben lassen wolle, er habe auch nur ein einziges Mitglied der Familie Clutter umgebracht. Außerdem seien die Hickocks nette Leute. Insofern spräche eigentlich nichts dagegen.«
    Als sie das hörte, fing Mrs. Hickock an zu weinen. Die ganze Verhandlung über hatte sie stumm neben ihrem Mann gesessen und sich an ein zerknülltes Taschentuch geklammert. Sooft es ging, sah sie zu ihrem Sohn hinüber, nickte ihm zu und setzte ein – wenn auch bemühtes – Lächeln auf, das ihm bedeuten sollte, dass sie zu ihm hielt. Aber die Frau war mit ihrer Beherrschung sichtlich am Ende; ihr kamen die Tränen. Ein paar Zuschauer drehten sich nach ihr um und wandten sich verlegen wieder ab; die anderen schienen den stimmlosen Klagegesang, der Deweys Continuo kontrapunktierte, nicht zu bemerken; selbst Mr. Hickock, der es vermutlich unmännlich fand, darauf zu reagieren, gab sich ungerührt.
    Schließlich führte die einzige anwesende Journalistin Mrs. Hickock aus dem Gerichtssaal und zog sich mit ihr auf die Damentoilette zurück.
    Als sie sich etwas beruhigt hatte, fragte Mrs. Hickock ihre Begleiterin, ob sie sich ihr anvertrauen dürfe. »Ich habe doch sonst keinen, mit dem ich sprechen kann«, sagte sie. »Was nicht heißen soll, dass die Leute – Nachbarn und so – unfreundlich gewesen wären. Im Gegenteil – sogar wildfremde Menschen haben uns geschrieben, sie könnten unseren Schmerz gut nachfühlen und es täte ihnen schrecklich leid. Wir haben von niemandem ein böses Wort zu hören bekommen, weder Walter noch ich.
    Nicht mal hier, wo man es doch eigentlich erwarten würde. Alle hier waren ausgesprochen freundlich. Die Bedienung in dem Lokal, wo wir essen, gibt uns zum Kuchen immer eine Kugel Eis gratis dazu. Ich habe ihr gesagt, sie soll das lassen, ich krieg das sowieso nicht runter. Früher habe ich gegessen wie ein Scheunendrescher. Aber sie tut es trotzdem. Aus Gefälligkeit.
    Sheila, so heißt sie, Sheila sagt, wir könnten nichts dafür.
    Trotzdem habe ich immer das Gefühl, die Leute gucken mich an und denken: Wer soll schuld sein, wenn nicht sie? Ich bin schließlich Dicks Mutter. Vielleicht hab ich bei der Erziehung ja wirklich etwas falsch gemacht. Ich weiß nur nicht, was; ich zermartere mir ständig das Hirn, ich hab schon Kopfschmerzen davon. Wir sind einfache Leute vom Lande und schlagen uns durchs Leben wie alle anderen auch. Aber wir hatten auch gute Zeiten. Ich habe Dick den Foxtrott beigebracht. Ich war immer schon ganz wild aufs Tanzen, als junges Mädchen hab ich für mein Leben gern getanzt; und da gab es einen Burschen, meine Güte, der konnte tanzen wie ein junger Gott – mit unserem Walzer haben wir sogar mal einen Silberpokal gewonnen. Eine Zeitlang wollten wir zusammen durchbrennen und zum Variété gehen. Vaudeville. Aber das war nur so ein Traum. Was junge Leute eben so träumen. Er ist dann weggezogen, und ich hab Walter geheiratet, und Walter Hickock hatte zwei linke Füße. Er meinte, wenn du einen Tanzbären suchst, musst du zum Zirkus gehen. Es hat nie wieder jemand mit mir getanzt, bis ich es Dick beibrachte, und er konnte sich dafür zwar nicht so recht erwärmen, aber er war reizend, Dick war das liebste

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