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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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einen Bären aufbinde – von wegen dass mir alles schrecklich leidtut und ich nur noch auf Knien rutschen und beten will? Ohne mich. Ich kann doch nicht plötzlich an etwas glauben, das ich mein Leben lang abgelehnt habe. Du hast mehr für mich getan, als dein sogenannter Gott je für mich tun könnte. Du hast mir geschrieben und mit ›Freund‹ unterzeichnet. Als ich keine Freunde hatte. Außer Joe James.« Joe James, erklärte er Cullivan, sei ein junger Indianer, bei dem er einige Zeit gelebt habe, in einem Wald bei Bellingham, Washington. »Das ist weit weg von Garden City. Gut zweitausend Meilen. Ich habe Joe geschrieben, in welcher Klemme ich stecke. Joe ist ein armer Teufel und hat sieben hungrige Mäuler zu stopfen, trotzdem hat er versprochen, mich zu besuchen, und wenn er den ganzen Weg zu Fuß gehen muss. Bis jetzt hat er sich zwar noch nicht blicken lassen, aber irgendwann kommt er bestimmt. Joe hat mich nämlich immer schon gemocht.
    Und du, Don?«
    »Ich dich auch.«
    Cullivans mit sanftem Nachdruck ausgesprochene Antwort freute Perry und brachte ihn ein wenig aus der Fassung. Er lächelte und sagte: »Dann hast du sie wahrscheinlich nicht mehr alle.« Plötzlich sprang er auf, ging quer durch die Zelle und schnappte sich einen Besen.
    »Warum soll ich eigentlich unter Fremden sterben? Und mir von einem Haufen Bauerntrottel dabei zusehen lassen, wie ich verröchele? Scheiße. Da bring ich mich vorher doch lieber um.« Er hob den Besen hoch und presste die Borsten gegen die brennende Glühbirne an der Decke. »Einfach rausschrauben, das Ding, es zerschlagen und mir mit den Scherben die Pulsadern aufschneiden.
    Und zwar am besten, solange du noch da bist. Jemand, dem ein klein bisschen was an mir liegt.«
     
    Am Montagmorgen um zehn Uhr wurde die Verhandlung fortgesetzt. Neunzig Minuten später waren sämtliche Zeugen der Verteidigung gehört, und das Gericht vertagte sich. Da die Angeklagten darauf verzichtet hatten, in eigener Sache auszusagen, war die Frage, ob Hickock oder Smith die Familie Clutter hingerichtet hatte, gar nicht erst zur Sprache gekommen.
    Der hohläugige Mr. Hickock trat als erster der fünf Zeugen in den Zeugenstand. Obwohl seine klare, würdevolle Stimme seine Bitterkeit leidlich kaschierte, hatte er zur Frage der vorübergehenden Unzurechnungsfähigkeit seines Sohnes nur ein wesentliches Faktum beizusteuern. Dick habe bei einem Autounfall im Juli 1950
    Kopfverletzungen erlitten, sagte er. Vor dem Unfall sei er ein »fröhlicher, unbekümmerter Junge« gewesen, ein guter, bei seinen Klassenkameraden sehr beliebter Schüler, der seinen Eltern stets mit Respekt begegnet sei – »er hatte mit niemandem Ärger.«
    Harrison Smith, der den Zeugen behutsam führte, sagte:
    »Darf ich fragen, ob Sie nach dem Juli 1950 eine Veränderung in Bezug auf Persönlichkeit, Gewohnheiten und Benehmen Ihres Sohnes Richard feststellen konnten?«
    »Er war nicht mehr der Alte.«
    »Inwiefern?«
     
    Mr. Hickock zählte, von Denkpausen unterbrochen, verschiedene Veränderungen auf: Dick sei gereizt und nervös gewesen, habe sich mit älteren Männern herumgetrieben, getrunken und gespielt. »Er war einfach nicht mehr der Alte.«
    Letztere Bemerkung erregte den Widerspruch Logan Greens, der damit das Kreuzverhör eröffnete: »Mr. Hickock, Sie sagen, Sie hätten vor 1950 nie Ärger mit Ihrem Sohn gehabt?«
    »… ich glaube, er wurde 1949 schon einmal festgenommen.«
    Green verzog die schmalen Lippen zu einem zitronensauren Lächeln. »Wissen Sie noch, weshalb er damals festgenommen wurde?«
    »Er wurde beschuldigt, in einen Drugstore eingebrochen zu sein.«
    »Beschuldigt? Hat er denn nicht gestanden, diesen Einbruch verübt zu haben?«
    »Doch, doch.«
    »Und das war 1949. Trotzdem bleiben Sie dabei, dass sich Einstellung und Verhalten Ihres Sohnes erst nach 1950 verändert haben?«
    »Ja, das kann man so sagen.«
    »Sie meinen, nach 1950 wurde er ein anständiger Junge?«
    Ein schwerer Hustenanfall schüttelte den alten Mann; er spuckte in ein Taschentuch. »Nein«, sagte er, während er den Auswurf inspizierte. »Das kann man so nicht sagen.«
    »Wie hat er sich denn verändert?«
    »Tja, das ist ziemlich schwer zu erklären. Er war einfach nicht mehr der Alte.«
    »Sie meinen, seine kriminellen Neigungen verloren sich?«
    Der Seitenhieb des Anwalts rief unter den Zuschauern schallendes Gelächter hervor, doch bevor die Wogen allzu hoch schlagen konnten, hatte Richter Tates gestrenger Blick sie

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