Kaltblütig
die beiden glatt in Stücke reißen.« Er nahm unmittelbar hinter den Angeklagten Platz und fixierte sie mit bohrendem Blick, als wollte er sie später aus dem Gedächtnis porträtieren. Schließlich, als hätte Arthur Clutter ihn allein durch Willenskraft dazu bewegt, drehte Perry Smith sich um, schaute ihn an – und erkannte ein Gesicht, das dem des Mannes, den er umgebracht hatte, verblüffend ähnlich sah: die gleichen milden Augen, die gleichen schmalen Lippen, das gleiche feste Kinn. Perry, der Kaugummi kaute, hörte auf zu kauen; er senkte den Blick, eine Minute verstrich, dann fingen seine Kiefer langsam wieder an zu mahlen.
Abgesehen von dieser Episode gaben sich Smith und Hickock im Gerichtssaal ebenso teilnahmslos wie unbeteiligt; gelangweilt kauten sie Kaugummi und klopften ungeduldig mit den Füßen auf den Boden, als der Anklagevertreter die erste Zeugin aufrief.
Nancy Ewalt. Gefolgt von Susan Kidwell. Die jungen Mädchen schilderten, was sie nach Betreten des Clutter-Hauses am Sonntag, dem 15. November 1959, gesehen hatten: die stillen Räume, ein leeres Portemonnaie auf dem Küchenfußboden und das sonnendurchflutete Zimmer ihrer Schulfreundin Nancy Clutter, die in ihrem eigenen Blut lag. Die Verteidigung verzichtete auf das Kreuzverhör, eine Taktik, die sie auch bei den nächsten drei Zeugen (Nancy Ewalts Vater Clarence, Sheriff Earl Robinson und Leichenbeschauer Dr. Robert Fenton) beibehielt, welche die Geschichte jenes sonnigen Novembermorgens um weitere Einzelheiten ergänzten: die Entdeckung der anderen drei Opfer, ein Bericht über den Zustand, in dem sie sich befanden, sowie eine klinische Diagnose der Ursache dafür – »durch Schusswaffeneinwirkung hervorgerufene schwere Hirnund Schädeltraumata«.
Dann trat Richard G. Rohleder in den Zeugenstand.
Rohleder ist der Chefermittler der Polizei von Garden City. Sein Hobby ist die Fotografie, und davon versteht er eine ganze Menge. Von Rohleder stammten die Aufnahmen, die Hickocks staubige Fußspuren im Keller der Clutters hatten zutage treten lassen, Spuren, die nur für die Kamera sichtbar waren, nicht jedoch für das menschliche Auge. Und er hatte auch die Leichen fotografiert, die Tatortbilder, über denen Alvin Dewey während der Ermittlungen in einem fort gebrütet hatte.
Rohleders Aussage diente in erster Linie zur Feststellung der Tatsache, dass er der Urheber dieser Bilder war, die von der Anklage umgehend als Beweis beantragt wurden.
Hickocks Anwalt erhob Einspruch: »Diese Fotos werden einzig und allein zu dem Zweck herangezogen, die Geschworenen zu beeinflussen und ihre Gemüter zu erhitzen.« Richter Tate wies den Einspruch ab und ließ die Fotografien als Beweismittel zu, die daraufhin der Jury vorgelegt werden mussten.
Hickocks Vater wandte sich derweil an den Journalisten neben ihm und sagte: »Der Richter da oben! So was Voreingenommenes hab ich ja noch nie erlebt. Das ganze Verfahren ist ein Witz. Solange der das Sagen hat. Der Mann war schließlich Sargträger beim Begräbnis!« (In Wahrheit hatte Tate die Opfer nur flüchtig gekannt und war gar nicht bei der Beerdigung gewesen.) Doch außer Mr. Hickock erhob in dem ausgesprochen stillen Sitzungssaal niemand die Stimme. Es waren insgesamt siebzehn Abzüge, und als sie so von Hand zu Hand gingen, spiegelten die Gesichter der Geschworenen die Gefühle wider, die sie beim Anblick der Bilder überkamen: Einem schoss die Röte ins Gesicht, als wäre er geohrfeigt worden, andere verließ, nach einem ersten qualvollen Blick, allem Anschein nach der Mut; es war, als hätten die Fotos ihnen die Augen geöffnet und sie gezwungen, schließlich und endlich zu sehen, zu erkennen, was man einem ihrer Nachbarn, seiner Frau und seinen Kindern angetan hatte. Sie waren fassungslos, empört, und einige von ihnen – der Apotheker, der Geschäftsführer der Bowlingbahn – starrten die Beschuldigten voller Verachtung an.
Hickock senior schüttelte müde den Kopf und murmelte immer wieder: »Ein Witz. Das ganze Verfahren ist ein Witz.«
Als letzten Zeugen des Tages hatte die Anklage einen »Überraschungszeugen« angekündigt. Es war der Mann, dessen Aussage zur Verhaftung der Beschuldigten geführt hatte: Floyd Wells, Hickocks ehemaliger Zellengenosse.
Da er nach wie vor im Kansas State Penitentiary einsaß und daher mit Racheakten seiner Mitgefangenen zu rechnen hatte, war Wells als Informant nie namentlich genannt worden. Damit er gefahrlos vor Gericht aussagen konnte, hatte man ihn
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