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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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früher. Du hast dich kein bisschen verändert.«
    Cullivan, der mit seinem schütteren Haar und seinem wenig einprägsamen Gesicht an einen blässlichen Bankangestellten erinnert, räumte ein, dass er sich äußerlich kaum verändert habe. Innerlich hingegen schon: »Ich trieb so dahin. Ohne zu wissen, dass es keine Wirklichkeit gibt außer Gott. Wenn man das erst mal begriffen hat, fügt sich alles wie von selbst. Das Leben hat einen Sinn – das Leben und der Tod. Junge, Junge, isst du immer so?«
    Perry lachte. »Mrs. Meier ist eine Spitzenköchin. Du müsstest mal ihren spanischen Reis probieren. Seit ich hier bin, hab ich fast sieben Kilo zugelegt. Ich war allerdings auch nur noch Haut und Knochen. Als ich mit Dick auf Achse war, hab ich mächtig abgenommen – kaum mal was Anständiges zwischen die Rippen, ständig Kohldampf. Meistens haben wir gelebt wie die Tiere. Dick hat dauernd Konserven geklaut. Baked Beans und Dosenspaghetti. Die haben wir im Wagen aufgemacht und kalt runtergeschlungen. Wie die Tiere. Dick klaut für sein Leben gern. Das ist eine psychische Störung – eine Krankheit. Ich klaue ja auch manchmal, aber nur, wenn ich kein Geld zum Bezahlen hab. Dick würde selbst dann ein Päckchen Kaugummi mitgehen lassen, wenn er hundert Dollar in der Tasche hätte.«
    Später, bei Zigaretten und Kaffee, kam Perry noch einmal auf das Thema zurück. »Mein Freund Willie-Jay hat oft davon gesprochen. Er meinte, alle Verbrechen wären im Grunde nichts weiter als ›verschiedene Formen des Diebstahls‹. Mord eingeschlossen. Wenn man einen Menschen tötet, stiehlt man ihm das Leben. So gesehen bin ich dann wohl doch ein ziemlich schlimmer Finger.
    Ich hab sie nämlich wirklich umgebracht. Auch wenn Dewey vor Gericht so getan hat, als wollte ich Dick in Schutz nehmen – seiner Mutter zuliebe. Aber das stimmt nicht. Dick hat mir zwar geholfen, er hat die Taschenlampe gehalten und die Hülsen eingesammelt.
    Und die Idee war auch von ihm. Aber erschossen hat er sie nicht, das könnte er gar nicht – auch wenn er jeden Straßenköter überfährt, der ihm in die Quere kommt. Ich frage mich, warum ich das getan hab.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht, als sei ihm dieser Gedanke völlig neu, wie ein neu entdeckter Stein von erstaunlicher, nie gesehener Farbe. »Ich weiß nicht, warum«, sagte er, als hielte er den Stein gegen das Licht und wendete ihn hin und her. »Ich war sauer auf Dick. Und sein großkotziges Getue. Aber letztlich ging es mir gar nicht um Dick. Oder die Angst, identifiziert zu werden. Das hätte ich schon riskiert. Es ging auch nicht um die Clutters. Sie hatten mir ja nichts getan. Nicht so wie die anderen. All die anderen, die mir das Leben zur Hölle gemacht haben. Die Clutters waren wahrscheinlich schlicht und einfach diejenigen, die dafür büßen mussten.«
    Cullivan bohrte nach, versuchte zu ergründen, wie tief Perrys mutmaßliche Reue ging. Seine Gewissensbisse seien doch sicher schwer genug, um in ihm den Wunsch nach Gottes Gnade und Vergebung zu erwecken? »Ob es mir leidtut?«, sagte Perry. »Wenn du das meinst – nein.
    Nicht im Geringsten. Schön wär’s. Aber da regt sich nichts bei mir. Eine halbe Stunde danach riss Dick schon wieder Witze, und ich lachte darüber. Vielleicht sind wir keine Menschen. Aber ich bin immerhin Mensch genug, um mich selber zu bedauern. Und sei es nur, weil ich nicht mitgehen kann, wenn du gehst. Das ist aber auch alles.«
    Cullivan hielt diese Gleichgültigkeit für wenig glaubhaft; Perry sei verwirrt, verblendet, es könne schlicht nicht sein, dass ein Mensch keinerlei Schuld oder Mitgefühl empfinde. »Warum?«, fragte Perry. »Soldaten haben schließlich auch keine schlaflosen Nächte. Sie morden und bekommen sogar einen Orden dafür. Die braven Bürger des Staates Kansas wollen mich ermorden – und der Henker reibt sich vermutlich schon die Hände. Einen Menschen zu töten, ist nicht schwer – viel leichter, als einen faulen Scheck unter die Leute zu bringen. Vergiss nicht: Ich kannte die Clutters gerade mal eine Stunde.
    Wenn ich sie richtig gekannt hätte, würde es mir wahrscheinlich anders gehen. Ich weiß nicht, ob ich mir dann noch in die Augen sehen könnte. Aber so – ich hätte genauso gut auf Schießbudenfiguren ballern können.«
    Cullivan schwieg, und dieses Schweigen kränkte Perry, der es als ein Zeichen der Missbilligung zu deuten schien.
    »Mensch, Don, wäre es dir etwa lieber, wenn ich den Scheinheiligen spiele? Und dir

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