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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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ziemlich ähnlich. So waren beide äußerst pingelig und sehr auf Körperpflege und den Zustand ihrer Fingernägel bedacht. Nachdem sie sich den ganzen Vormittag als Schmiermaxen betätigt hatten, verbrachten sie fast eine Stunde im Waschraum der Werkstatt, um sich auf Vordermann zu bringen. In Unterhosen sah Dick ganz anders aus als in Montur.
    Angekleidet wirkte er wie ein schmächtiger, schmutzigblonder junger Mann von mittlerer Größe, ausgemergelt und mit leicht eingefallener Brust; wenn er sich auszog, stellte sich heraus, dass er, ganz im Gegenteil, über den athletischen Körperbau eines Weltergewichtlers verfügte.
    Das tätowierte Gesicht einer Katze, blau und grinsend, bedeckte seine rechte Hand; auf einer Schulter prangte eine blaue Rose. Weitere selbst entworfene und gestochene Motive schmückten Rumpf und Oberarme: der Kopf eines Drachen mit einem menschlichen Schädel im weit aufgerissenen Maul; nackte, vollbusige Frauen; ein Kobold, der eine Mistgabel schwang; das Wort FRIEDEN und daneben ein Kreuz, das mit kruden Strichen ausgeführte göttliche Lichtstrahlen aussandte; sowie zwei eher sentimentale Elaborate – ein MOTHER-DAD gewidmetes Blumenbukett das eine, das andere ein Herz zum Gedenken an die Romanze von DICK und CAROL, dem Mädchen, das er mit neunzehn geheiratet und sechs Jahre später hatte sitzenlassen, um die »Ehre« einer anderen jungen Dame zu »retten«, der Mutter seines jüngsten Kindes. (»Ich habe drei Söhne, für die ich selbstverständlich sorgen möchte«, hieß es in seinem Bewährungsantrag. »Meine Frau hat wieder geheiratet. Ich war zweimal verheiratet, will mit meiner zweiten Frau aber nichts mehr zu tun haben.«)
    Doch weder Dicks Körper noch die ihn zierende tintenblaue Bildergalerie machten einen auch nur halb so bemerkenswerten Eindruck wie sein Gesicht, das wie aus zwei verschiedenen Teilen zusammengesetzt schien. Als hätte man seinen Kopf halbiert wie einen Apfel und nicht ganz passgenau wieder zusammengefügt. Und so ähnlich war es auch; seine leicht verrutschte Physiognomie verdankte er einem Autounfall im Jahre 1950 – sein schmales, längliches Gesicht war seither schief, die linke Hälfte hing etwas tiefer als die rechte, wodurch Lippen und Nase leicht entstellt und die Augen nicht nur ein Stück versetzt, sondern zudem verschieden groß wirkten, was dem linken Auge nachgerade etwas Schlangenhaftes gab, ein giftiges, fahlblaues Schielen, das, obgleich Folge eines Unglücks, von dem bitteren Bodensatz am Grunde seines Wesens zu künden schien. »Das mit dem Auge macht doch nichts«, hatte Perry ihn beruhigt. »Dafür hast du ein wunderschönes Lächeln. Ein Lächeln, dem niemand widerstehen kann.« Und tatsächlich, wenn ein Lächeln Dicks Gesicht entzerrte, erhielt es seine korrekten Proportionen zurück, und hinter der Furcht einflößenden Fassade kam eine weitaus angenehmere Persönlichkeit zum Vorschein – ein typisch amerikanischer »netter Kerl« mit ausgewachsenem Bürstenschnitt, halbwegs vernünftig, aber nicht besonders hell. (In Wahrheit war er hochintelligent. Bei einem im Gefängnis durchgeführten IQ-Test erzielte er 130 Punkte; der Durchschnittskandidat bringt es, im Gefängnis wie in Freiheit, auf 90 bis 110.) Auch Perry war ein Krüppel, und seine Verletzungen, die er sich bei einem Motorradunfall zugezogen hatte, waren schwerer als die Dicks; er hatte ein halbes Jahr in einem Krankenhaus im Staate Washington gelegen und dann noch einmal sechs Monate auf Krücken gehen müssen, und obwohl das Unglück bereits sieben Jahre zurücklag, verursachten ihm seine kurzen, dicken Zwergenbeine, fünffach gebrochen und mit fürchterlichen Narben übersät, nach wie vor so starke Schmerzen, dass er aspirinsüchtig geworden war. Er hatte zwar nicht ganz so viele, dafür aber weitaus raffiniertere Tätowierungen als sein Begleiter – nicht die selbst beigebrachten Arbeiten eines Amateurs, sondern epische Kunstwerke, gestaltet von Meistern in Honolulu und Yokohama.
    COOKIE, der Name einer Schwester, die besonders nett zu ihm gewesen war, als er im Krankenhaus gelegen hatte, war auf seinen rechten Bizeps tätowiert. Auf seinem linken Bizeps fauchte ein blaubefellter Tiger mit orange glühenden Augen und feuerroten Reißzähnen; eine züngelnde, sich um einen Dolch windende Schlange rankte seinen Unterarm hinab; und hier und da funkelten Totenschädel, ragte ein Grabstein, blühte eine Chrysantheme.
    »Okay, mein Schöner. Steck den Kamm weg«, sagte

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