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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Dick, frisch umgezogen und bereit zum Aufbruch. Er hatte seinen Blaumann abgelegt und trug jetzt graue Khakihosen, ein passendes Hemd und, wie Perry, schwarze Stiefeletten. Perry, der Mühe hatte, eine geeignete Hose für seine verstümmelten Beine zu finden, trug aufgekrempelte Jeans und eine Lederjacke.
    Geschrubbt, gekämmt und herausgeputzt wie zwei Pomadenhengste auf dem Weg zu einem Doppelrendezvous, gingen sie hinaus zum Wagen.
     
    Von Olathe, einem Vorort von Kansas City, nach Holcomb, das man auch als Vorort von Garden City bezeichnen könnte, sind es ungefähr vierhundert Meilen.
    Die Gründer von Garden City, einer elftausend Seelen zählenden Gemeinde, kamen bald nach dem Bürgerkrieg hierher. Ein umherziehender Büffeljäger namens C. J. (Buffalo) Jones spielte eine wesentliche Rolle beim Aufstieg des Ortes von einer bloßen Ansammlung von Hütten und Pfosten zum Anbinden von Zugund Reittieren zu einem wohlhabenden Viehzuchtzentrum mit Remmidemmi-Saloons, einem Opernhaus und dem nobelsten Hotel zwischen Kansas City und Denver – kurz: ein Paradebeispiel für den verschwenderischen Prunk und Pomp der Frontierstädte, das es mühelos mit dem berühmteren, gut fünfzig Meilen weiter östlich gelegenen Dodge City aufnehmen konnte. Mit Buffalo Jones, der erst sein Geld und dann seinen Verstand verlor (in seinen letzten Lebensjahren hielt er auf den Straßen Reden gegen die zügellose Ausrottung der Tiere, die er selbst so Gewinn bringend abgeschlachtet hatte), wurden auch Glanz und Glamour der Vergangenheit zu Grabe getragen. Manches erinnert noch daran; eine Reihe leidlich imposanter Geschäftshäuser trägt den Namen Buffalo Block, und das einst prachtvolle Windsor Hotel, dessen Saloon mit seinen hohen Decken und der von Spucknäpfen und Topfpalmen geprägten Atmosphäre noch heute einen prachtvollen Anblick bietet, steht als eine Art Wahrzeichen zwischen den Gemischtwarenläden und Supermärkten an der Main Street – ein vergleichsweise schlecht besuchtes Wahrzeichen, denn mit seinen großen, dunklen Räumen und widerhallenden Fluren, so geschichtsträchtig sie auch sein mögen, kann es mit dem klimatisierten Komfort des gepflegten kleinen Hotels Warren oder den mit Fernsehgeräten ausgestatteten Zimmern und dem »beheizten Swimmingpool« des Wheat Lands Motel nicht konkurrieren. Wer je mit der Bahn oder dem Auto von Küste zu Küste quer durch Amerika gefahren ist, den hat sein Weg vermutlich auch durch Garden City geführt, wiewohl sich kaum ein Reisender daran erinnern wird. Der Ort scheint auf den ersten Blick nichts weiter als eine von vielen Kleinstädten in der – nahezu exakten – Mitte der kontinentalen USA.
    Auch wenn die Einheimischen das – wahrscheinlich zu Recht – bestreiten. Sie neigen zwar zur Übertreibung (»Nirgends auf der Welt werden sie freundlichere Menschen, frischere Luft oder klareres Wasser finden«, und: »In Denver könnte ich das Dreifache verdienen, aber ich habe fünf Kinder, und ich wüsste nicht, wo man sie besser aufziehen könnte als hier. Prima Schulen, sportliche Einrichtungen aller Art. Wir haben sogar ein Junior College«, und: »Ich bin hierhergekommen, um als Anwalt zu praktizieren. Nur vorübergehend. Bleiben wollte ich hier eigentlich nicht. Aber als sich dann eine Möglichkeit zum Wegziehen bot, da dachte ich: Warum?
    Wozu? Gut, Garden City ist vielleicht nicht New York – aber was, zum Teufel, soll ich in New York? Gute Nachbarn, Leute, die füreinander da sind, nur darauf kommt es an. Außerdem gibt es hier alles, was ein normaler Mensch zum Leben braucht. Schöne Kirchen.
    Einen Golfplatz«); der Neuankömmling wird jedoch, so er sich erst einmal daran gewöhnt hat, dass die Main Street nach acht Uhr abends wie ausgestorben ist, vieles entdecken, was die prahlerischen Rechtfertigungen der Bevölkerung bestätigt: eine gut sortierte Stadtbibliothek, eine halbwegs lesbare Tageszeitung, schattige, begrünte Plätze hier und da, ruhige Wohnstraßen, wo Tiere und Kinder gefahrlos umhertollen können, ein großer, üppig wuchernder Park samt einer kleinen Tierschau (»Erleben Sie die Eisbären! Erleben Sie Penny, den Elefanten!«) und eine Badeanstalt von fast einem Hektar Fläche (»Der Welt größtes Schwimmbad! EINTRITT FREI!«). All diese Vorzüge – und der Staub und der Wind und das allgegenwärtige Pfeifen der Lokomotiven – summieren sich zu einem Ort der »Heimat«, an die mit Sehnsucht zurückdenkt, wer sie verlassen hat, und die denen, die

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