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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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geblieben sind, ein Gefühl von Nestwärme und Zufriedenheit verleiht.
     
    Die Bürger von Garden City leugnen hartnäckig, dass sich die Bevölkerung des Städtchens in soziale Schichten einteilen lässt (»Nie und nimmer. So was gibt es bei uns nicht. Hier sind alle gleich, ungeachtet ihres Einkommens, ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens. Wie es sich in einer Demokratie gehört«), aber natürlich herrschen, wie in jeder anderen menschlichen Gemeinschaft, auch hier ebenso eindeutige wie deutlich wahrnehmbare Klassenunterschiede. Hundert Meilen weiter westlich endet der »Bible Belt«, jener vom Evangelium infizierte Teil Amerikas, wo man sich, und sei es aus geschäftlichen Gründen, gottgläubig und heilsgewiss zu geben hat, doch Finney County liegt noch im Bereich des Bibelgürtels, wo die Kirchenzugehörigkeit eines Menschen über dessen sozialen Status entscheidet. Achtzig Prozent der Gläubigen sind entweder Baptisten, Methodisten oder römischkatholisch, während die Elite – Geschäftsleute, Bankiers, Rechtsanwälte, Ärzte und der eine oder andere Rancher, der es zu Rang und Namen gebracht hat – sich überwiegend aus Presbyterianern und Episkopalen zusammensetzt. Gelegentlich heißen sie einen Methodisten in ihren Reihen willkommen oder werden gar von einem Demokraten unterwandert, aber im Großen und Ganzen rekrutiert sich das Establishment aus rechtsgerichteten Republikanern, die entweder der Presbyterianischen oder der Episkopalkirche angehören.
    Als gebildeter und erfolgreicher Farmer, als angesehener Republikaner und Kirchenvorstand – wenn auch der Methodistenkirche – hatte Mr. Clutter durchaus Anspruch auf einen Platz im Kreis der hiesigen Patrizier, doch ebenso wenig wie er dem Garden City Country Club beigetreten war, suchte er den Umgang mit der Hautevolee. Ganz im Gegenteil, denn ihre Zerstreuungen waren nicht sein Fall; er hatte für Kartenspiele, Golf, Cocktails oder Mitternachtsbüfetts nichts übrig – jeglicher Zeitvertreib, der »zu nichts führte«, war ihm fremd.
    Weshalb Mr. Clutter an diesem strahlenden Samstag, statt sich bei einer Partie Golf zu vergnügen, eine Versammlung des Finney County 4-H Club leitete. (4-H steht für »Head, Heart, Hands, Health« – Kopf, Herz, Hände, Gesundheit –, und das Clubmotto lautet: »Wir lernen durch Taten.« Der 4-H Club ist eine nationale Organisation mit Ablegern in Übersee, deren Ziel es ist, die Landbevölkerung – und insbesondere die Kinder – darin zu unterstützen, praktische Fähigkeiten und Zivilcourage zu entwickeln. Nancy und Kenyon waren seit ihrem sechsten Lebensjahr gewissenhafte Mitglieder.) Gegen Ende des Treffens sagte Mr. Clutter: »Und jetzt noch ein Wort zu einem unserer erwachsenen Mitglieder.« Sein Blick wanderte zu einer dicklichen Japanerin und ihren vier dicklichen japanischen Kindern.
     
    »Sie alle kennen Mrs. Hideo Ashida. Sie alle wissen, dass die Ashidas vor zwei Jahren aus Colorado hergezogen sind und sich in Holcomb als Farmer niedergelassen haben.
    Eine nette Familie, die wir gern in unserer Mitte wissen.
    Wie Ihnen jeder bestätigen wird, der schon einmal krank war. Denn Mrs. Ashida ist kein Weg zu weit, um ihm eine ihrer köstlichen Suppen ans Krankenbett zu bringen.
    Oder ihre wunderschönen Blumen, die gedeihen, wo niemand es für möglich gehalten hätte. Und Sie werden sich bestimmt erinnern, in welchem Maße sie beim letztjährigen County Fair zum Erfolg des 4-H-Standes beigetragen hat. Kurz: Ich schlage vor, Mrs. Ashida bei unserer Ehrenfeier am kommenden Dienstag mit einem Preis auszuzeichnen.«
    Ihre Kinder zerrten an ihr, boxten sie; der älteste Junge rief: »He, Ma, das bist du!« Doch Mrs. Ashida schämte sich; sie rieb sich mit ihren plumpen, kleinen Patschehändchen die Augen und lachte. Die Farm, die ihr Mann gepachtet hatte, ein einsames, windgepeitschtes Fleckchen Erde, lag auf halber Strecke zwischen Garden City und Holcomb. Nach den 4-H-Versammlungen fuhr Mr. Clutter die Ashidas meist nach Hause; so auch heute.
    »Du liebe Zeit, war das ein Schreck«, sagte Mrs. Ashida, während sie in Mr. Clutters Pick-Up über die Route 50 rollten. »Ich weiß, ich bedanke mich immerzu bei Ihnen, Herb. Trotzdem danke.« Sie hatte ihn einen Tag nach ihrer Ankunft in Finney County kennen gelernt; es war der Tag vor Halloween gewesen, und Kenyon und er hatten sie besucht und ihnen Zierund Speisekürbisse gebracht. Das ganze schwere erste Jahr lang wurden die Ashidas mit derlei Gaben förmlich

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