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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Von unten. Aus Mrs. Kidwells Wohnung. Aber ich dachte, im Grunde geht mich das nichts an, schließlich bin ich neu hier und erst seit diesem Schuljahr in Holcomb. Da plötzlich kam Shirley, meine Frau, hereingestürzt – sie hatte draußen Wäsche aufgehängt – und sagte: ›Schnell, Schatz, geh mal runter. Die sind alle völlig hysterisch‹. Also, was die beiden Mädchen angeht – hysterisch ist gar kein Ausdruck. Susan ist bis heute nicht darüber hinweg. Wenn Sie mich fragen, wird sie das ihr Leben lang verfolgen. Und die arme Mrs. Kidwell erst. Mit ihrer Gesundheit steht es nicht zum Besten, sie ist ohnehin sehr sensibel. Sie sagte immer wieder – und ich habe viel später erst begriffen, was sie meinte –, sie sagte immer wieder: ›Ach, Bonnie, Bonnie, was ist bloß passiert? Du warst doch so glücklich, hast gesagt, das alles hätte nun ein Ende, und du wirst nie wieder krank.‹ So was in der Art. Selbst Mr. Ewalt war völlig fassungslos, das kann man sich bei so einem Mann kaum vorstellen. Er hatte den Sheriff an der Strippe – den Sheriff von Garden City – und versuchte, ihm klarzumachen, dass ›draußen bei den Clutters was Schreckliches passiert ist‹. Der Sheriff versprach, sofort zu kommen, und Mr. Ewalt sagte: ›Gut, wir treffen uns am Highway.‹
    Shirley kam herunter, um den Frauen Gesellschaft zu leisten und sie zu beruhigen – ein aussichtsloses Unterfangen. Und ich fuhr mit Mr. Ewalt zum Highway, um auf Sheriff Robinson zu warten. Unterwegs erzählte er mir die ganze Geschichte. Bei der Sache mit dem durchschnittenen Kabel wusste ich sofort, was los war, und nahm mir vor, die Augen offen zu halten. Mir alles genau einzuprägen. Falls ich später vor Gericht aussagen musste. Der Sheriff kam um fünf nach halb zehn – ich habe extra auf die Uhr geschaut. Mr. Ewalt machte ihm ein Zeichen, uns zu folgen, und wir fuhren zu den Clutters. Ich war noch nie dort gewesen, hatte das Haus immer nur von der Straße aus gesehen. Die Familie kannte ich natürlich. Ich war Kenyons Englischlehrer, und mit Nancy hatte ich Tom Sawyer einstudiert. Aber die beiden waren so artig und bescheiden; man wäre nie daraufgekommen, dass sie reiche Eltern hatten oder in einem so großen Haus wohnten – die Bäume, der Rasen, alles sauber und gepflegt. Als wir ankamen und der Sheriff sich Mr. Ewalts Geschichte angehört hatte, forderte er über Funk Verstärkung und einen Krankenwagen an. ›Es handelt sich um einen Unfall‹, sagte er. Dann gingen wir zu dritt ins Haus. Wir kamen in die Küche und sahen eine Damenhandtasche auf dem Boden liegen und das Telefon mit dem durchschnittenen Kabel. Der Sheriff trug eine Waffe an der Hüfte, und als wir die Treppe zu Nancys Zimmer hinaufstiegen, sah ich, dass er die Hand am Knauf der Pistole hatte, um sie jederzeit ziehen zu können.
    Tja, es war ziemlich schlimm. Dieses wunderschöne Mädchen – Sie hätten es kaum wiedererkannt. Der Täter hatte ihr aus fünf Zentimeter Entfernung mit einer Flinte in den Hinterkopf geschossen. Sie lag auf der Seite, mit dem Gesicht zur Wand, und die ganze Wand war voller Blut. Die Bettdecke war bis zu den Schultern hochgezogen. Sheriff Robinson schlug sie zurück, und wir sahen, dass sie einen Bademantel, einen Schlafanzug, Socken und Hausschuhe trug – als ob sie zur Tatzeit noch nicht im Bett gewesen sei. Die Hände hatte man ihr auf den Rücken gebunden, und ihre Füße waren mit einer Jalousienkordel gefesselt. ›Ist das Nancy Clutter?‹, fragte der Sheriff – er hatte das Kind noch nie gesehen. Und ich sagte: ›Ja. Ja, das ist Nancy.‹
    Wir traten wieder auf den Flur und sahen uns um. Alle anderen Türen waren geschlossen. Die erste führte ins Badezimmer, und ich merkte sofort, dass hier etwas nicht stimmte. Es war der Stuhl – eine Art Esszimmerstuhl, wie er im Bad normalerweise nichts zu suchen hat. Die nächste Tür – das konnte eigentlich nur Kenyons Zimmer sein. Ein typisches Jungenzimmer mit allem Drum und Dran. Außerdem erkannte ich Kenyons Brille – sie lag auf einem Regal neben dem Bett. Aber das Bett war leer, obwohl eindeutig jemand darin gelegen hatte. Dann gingen wir weiter zur letzten Tür, am Ende des Flurs, und da, in ihrem Bett, fanden wir Mrs. Clutter. Auch sie war gefesselt. Aber anders – mit den Händen vor der Brust; sie sah aus, als ob sie beten würde –, und ihre eine Hand hielt, nein, umklammerte ein Taschentuch. Oder doch ein Kleenex? Ein und derselbe Strick schlang sich nicht nur um

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