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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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ihre Handgelenke, sondern auch um ihre Füße, und zog sich von dort weiter bis zum Fußende des Bettes, wo er am Bettgestell befestigt war – eine äußerst komplizierte, raffinierte Fesselungsmethode. Das muss eine halbe Ewigkeit gedauert haben! Während sie hilflos dalag und regelrechte Todesängste ausstand. Sie trug diversen Schmuck, zwei Ringe – einer der Gründe, weshalb ich Raub als Motiv von Anfang an ausgeschlossen habe – sowie einen Bademantel, ein weißes Nachthemd und weiße Socken. Ihr Mund war mit Klebeband verklebt, aber sie war aus nächster Nähe in die Schläfe geschossen worden, und durch die Wucht der Explosion hatte sich das Klebeband gelöst. Ihr Augen waren offen. Weit offen.
    Als würde sie dem Mörder noch immer ins Gesicht starren. Denn sie hat mit Sicherheit beobachtet, wie er die Flinte auf sie richtete. Niemand sagte ein Wort. Wir waren wie betäubt. Der Sheriff machte sich auf die Suche nach der leeren Patronenhülse. Aber der Täter war viel zu clever und durchtrieben, als dass er derart belastende Indizien hinterlassen hätte.
    Wir fragten uns natürlich, wo Mr. Clutter war. Und Kenyon. ›Sehen wir unten nach‹, sagte der Sheriff. Zuerst gingen wir ins Elternschlafzimmer – das Zimmer, in dem Mr. Clutter schlief. Die Bettdecke war zurückgeschlagen, und am Fußende des Bettes lagen eine leere Brieftasche und mehrere Kreditkarten, als hätte jemand die Brieftasche durchwühlt, weil er etwas Bestimmtes suchte –einen Zettel oder einen Schuldschein, wer weiß? Dass kein Geld darin war, musste nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben. Die Brieftasche gehörte schließlich Mr. Clutter, und der hatte nie Bargeld bei sich. Das wusste selbst ich, dabei war ich erst seit gut zwei Monaten in Holcomb. Ich wusste auch, dass sowohl Mr. Clutter als auch Kenyon ohne Brille praktisch blind waren. Aber Mr. Clutters Brille lag auf einer Kommode. Woraus ich schloss, dass die beiden sich gewiss nicht freiwillig dahin begeben hatten, wo sie jetzt waren. Wir schauten uns um, aber alles schien in Ordnung – keine Spur von einem Kampf, kein Durcheinander. Außer im Büro, wo der Hörer neben dem Telefon lag und das Kabel durchgeschnitten war, genau wie in der Küche. In einem Schrank entdeckte Sheriff Robinson mehrere Gewehre und roch daran, um festzustellen, ob damit kürzlich geschossen worden war. Er schüttelte den Kopf – ich habe nie einen verwirrteren Menschen gesehen – und sagte: ›Wo zum Teufel steckt Herb bloß?‹ Da hörten wir plötzlich Schritte.
    Sie kamen die Kellertreppe herauf. ›Wer ist da?‹, fragte der Sheriff und griff instinktiv nach seiner Waffe. ›Ich bin’s, Wendle‹, sagte eine Stimme. Sie gehörte Wendle Meier, dem Hilfssheriff. Er hatte uns anscheinend nicht bemerkt, als er gekommen war, und erst einmal im Keller nachgesehen. Der Sheriff sagte – und er konnte einem dabei fast leid tun: ›Wendle, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Oben liegen zwei Tote.‹ ›Hm‹, machte Wendle, ›unten liegt auch einer.‹ Also folgten wir ihm in den Keller. Oder, besser gesagt, in den Hobbyraum. Dort unten war es taghell – die Fenster ließen reichlich Licht herein. Kenyon lag in der Ecke, auf einer Couch. Er war mit Klebeband geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt, wie die Mutter – dieselbe komplizierte Technik: Der Strick verlief von den Händen zu den Füßen und war schließlich an einer Armlehne der Couch befestigt.
    Kenyon. Aus irgendeinem Grunde lässt sein Anblick mich nicht los. Wahrscheinlich weil er von allen noch am ehesten zu erkennen war – obwohl man ihm direkt ins Gesicht geschossen hatte, von vorn. Er trug ein T-Shirt und Jeans, und er war barfuß – als ob er sich in Windeseile angezogen, einfach die erstbesten Sachen übergestreift hätte. Mehrere Kissen stützten seinen Kopf, ganz so als hätte der Täter sie ihm untergelegt, damit er besser zielen konnte.
    ›Wohin führt die?‹, fragte der Sheriff und deutete auf eine zweite Tür. Er ging voran, aber drinnen war es so dunkel, dass man die Hand nicht vor Augen sehen konnte, bis Mr. Ewalt den Lichtschalter fand. Es war ein Heizungskeller und sehr warm. In dieser Gegend installieren die Leute einfach einen Heizkessel und pumpen das Gas direkt aus der Erde. Das kostet sie keinen Cent – darum sind die Häuser auch alle völlig überheizt. Tja, ich warf einen Blick auf Mr. Clutter und mochte eigentlich kein zweites Mal hinschauen. Mir war klar, dass so viel Blut unmöglich von

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