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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Perry Smith. Und seitdem haben Sie nichts von ihm gehört? Er hat Ihnen nicht geschrieben?«
    »Er hat Angst«, meinte Mrs. Hickock. »Er hat Angst und schämt sich.«
    »Er schämt sich?«
    »Für das, was er getan hat. Für den Kummer, den er uns bereitet hat. Und Angst hat er, weil er glaubt, dass wir ihm nicht verzeihen. Obwohl wir ihm bisher noch alles verziehen haben. Haben Sie Kinder, Mr. Nye?«
    Er nickte.
    »Dann wissen Sie ja, wie das ist.«
    »Eins noch. Haben Sie irgendeine Ahnung, wo sich Ihr Sohn aufhalten könnte?«
    »Nehmen Sie eine Landkarte«, sagte Mr. Hickock, »und zeigen Sie mit dem Finger irgendwo drauf – vielleicht haben Sie Glück.«
     
    Es war später Nachmittag, und der Fahrer des Wagens, ein Handelsvertreter mittleren Alters, der hier als Mr. Bell firmieren soll, war müde. Er hätte am liebsten angehalten und ein kleines Nickerchen gemacht. Aber es waren nur noch hundert Meilen bis zu seinem Ziel – Omaha, Nebraska, wo die große Fleischkonservenfabrik, für die er tätig war, ihren Hauptsitz hatte. Laut Betriebsordnung war es den Vertretern untersagt, Anhalter mitzunehmen, was Mr. Bell jedoch nicht weiter scherte, besonders wenn er sich langweilte und ihn der Schlaf zu übermannen drohte, weshalb er sofort auf die Bremse trat, als er die beiden jungen Männer am Straßenrand stehen sah.
    Die »Jungs« schienen »in Ordnung« zu sein. Der Größere der beiden, ein drahtiger Typ mit schmutzigblondem, kurz geschnittenem Haar, war höflich und hatte ein einnehmendes Grinsen, und sein Begleiter, der »Zwerg«, der eine Mundharmonika in der rechten Hand hielt und einen prall gefüllten Strohkoffer in der linken, machte einen »netten Eindruck«, schüchtern, aber sympathisch. Jedenfalls war Mr. Bell – der von den Absichten seiner Fahrgäste, die ihn mit einem Gürtel erdrosseln und ihn, seines Wagens, seines Geldes und seines Lebens beraubt, in einem Präriegrab verscharren wollten, nichts ahnte – froh, Gesellschaft zu haben, Leute, mit denen er reden konnte und die ihn bis zu seiner Ankunft in Omaha wach halten würden.
    Er stellte sich vor und fragte sie dann nach ihren Namen. Der freundliche junge Mann, mit dem er den Vordersitz teilte, hieß Dick. »Und das ist Perry«, sagte Dick mit einem Blick zu Perry, der direkt hinter dem Fahrer saß.
    »Ich kann euch bis nach Omaha mitnehmen.«
    »Danke, Sir«, sagte Dick. »Genau da wollten wir hin.
    Vielleicht finden wir in Omaha ’nen Job.«
    Was für Arbeit sie denn suchten? Er könne ihnen da eventuell behilflich sein, meinte der Vertreter.
    »Ich bin ein Eins-A-Autolackierer«, sagte Dick. »Und Autoschlosser. Ich hab eigentlich immer gutes Geld verdient. Mein Kumpel und ich, wir kommen gerade aus Mexiko. Eigentlich wollten wir da bleiben. Aber die Löhne da unten sind so mau. Da kann kein Weißer von leben.«
    Ah, Mexiko. Mr. Bell erklärte, er habe seine Flitterwochen in Cuernavaca verbracht. »Wir wollten da immer noch mal hin. Aber mit fünf Kindern ist das nicht so einfach.«
    Wie er sich später erinnerte, dachte Perry: fünf Kinder – selber schuld. Außerdem ging ihm Dicks »großkotziges Geschwätz« gehörig auf die Nerven, fand er es »abartig« und »egomanisch«, wie Dick mit seinen mexikanischen »Liebschaften« und »Eroberungen« hausieren ging. Wozu sich anbiedern bei einem Mann, den man umbringen wollte, der keine zehn Minuten mehr zu leben hatte – gesetzt den Fall, es lief alles nach Plan? Und was sollte schon schiefgehen? Die Gelegenheit war ideal – genau danach hatten sie gesucht in den drei Tagen, die sie gebraucht hatten, um per Anhalter von Kalifornien nach Nevada und quer durch Nevada und Wyoming nach Nebraska zu gelangen. Bis jetzt war ihnen jedoch kein geeignetes Opfer untergekommen. Mr. Bell war der erste Alleinreisende, der einigermaßen wohlhabend schien und sich obendrein erboten hatte, sie mitzunehmen. Die anderen waren entweder Lastwagenfahrer oder Soldaten gewesen – und einmal zwei schwarze Preisboxer in einem lavendelfarbenen Cadillac. Aber Mr. Bell war der perfekte Kandidat. Perry schob die Hand in eine Tasche seiner Lederjacke. In der ausgebeulten Tasche steckten ein Fläschchen Bayer-Aspirin und ein scharfkantiger, in ein gelbes Cowboy-Baumwolltaschentuch gewickelter faustgroßer Stein. Er öffnete die Silberschnalle seines mit türkisfarbenen Perlen besetzten Navajo-Gürtels; er nahm ihn ab, zog ihn straff und legte ihn sich über die Knie. Er wartete. Er sah zu, wie die Wüste von

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