Kaltblütig
November, zurückgekommen?«
»Sonntagmittag.«
Nye rechnete das im Stillen durch und kam zu einem vielversprechenden Ergebnis: dass die beiden Verdächtigen in diesen zwanzig bis vierundzwanzig Stunden durchaus achthundert Meilen hin und zurück gefahren sein und obendrein noch Zeit gefunden haben konnten, vier Menschen zu ermorden.
»Sagen Sie, Mr. Hickock«, fragte Nye, »als Ihr Sohn am Sonntag wiederkam, war er da allein? Oder war Perry Smith bei ihm?«
»Nein, er war allein. Er sagte, er hätte Perry am Hotel Olathe abgesetzt.«
Nye, dessen Stimme normalerweise schneidend nasal und von Natur aus eher bedrohlich klingt, versuchte es mit einem gedämpften Timbre und einem besänftigenden, möglichst beiläufigen Tonfall. »Und wissen Sie noch – benahm er sich irgendwie auffällig? Anders als sonst?«
»Wer?«
»Ihr Sohn.«
»Wann?«
»Als er aus Fort Scott zurückkam.«
Mr. Hickock dachte nach. »Er war genau wie sonst«, sagte er schließlich. »Als er kam, setzten wir uns zu Tisch.
Er hatte einen Bärenhunger. Ich war mit dem Gebet noch nicht zu Ende, da lud er sich schon den Teller voll. Ich sagte: ›Dick, du frisst ja wie ein Scheunendrescher. Willst du uns nicht auch was übriglassen?‹ Er war natürlich immer schon ein großer Esser. Saure Gurken. Die kann er kübelweise verdrücken.«
»Und was hat er nach dem Essen gemacht?«
»Geschlafen hat er«, sagte Mr. Hickock und schien über seine Antwort selbst einigermaßen erstaunt. »Tief und fest. Und das war denn doch ungewöhnlich. Wir hatten uns ins Wohnzimmer gesetzt und wollten uns ein Basketballspiel anschauen. Im Fernsehen. Ich, Dick und David, unser anderer Sohn. Nicht lange, und Dick schnarchte wie ’ne Motorsäge. Ich sagte zu seinem Bruder: ›Gott, ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag noch erlebe, an dem Dick lieber schläft als Basketball zu gucken‹. Trotzdem. Er hat das ganze Spiel verschlafen. Zum Abendbrot ist er kurz aufgewacht und gleich danach ins Bett gegangen.«
Mrs. Hickock fädelte einen neuen Faden in ihre Stopfnadel; ihr Mann schaukelte in seinem Schaukelstuhl und sog an einer kalten Pfeife. Der Detective sah sich mit geschultem Blick in der blitzsauberen, bescheidenen kleinen Küche um. In einer Ecke lehnte ein Gewehr an der Wand; es war ihm zuvor schon aufgefallen. Er stand auf, streckte die Hand danach aus und sagte: »Gehen Sie öfter auf die Jagd, Mr. Hickock?«
»Das Gewehr gehört Dick. Er und David jagen hin und wieder. Hauptsächlich Kaninchen.«
Es war eine Savage-Flinte, Kaliber 12, Model 300; eine fein gearbeitete Jagdszene zierte das Holz des Kolbens, Fasanen im Flug.
»Wie lange hat Dick das schon?«
Die Frage erzürnte Mrs. Hickock. »Das Gewehr hat über hundert Dollar gekostet. Dick hat es auf Kredit gekauft, und jetzt will der Laden es nicht zurücknehmen, obwohl es gerade mal vier Wochen alt und nur einmal benutzt worden ist – Anfang November, als David und er zur Fasanenjagd in Grinnell waren. Er hat es auf unseren Namen gekauft – sein Daddy hatte es ihm erlaubt –, und jetzt sitzen wir da und müssen es abstottern, und wenn man bedenkt, wie krank Walter ist und was uns alles fehlt, was wir uns alles verkneifen müssen …« Sie hielt den Atem an, wie um einen Schluckauf zu unterdrücken.
»Möchten Sie auch wirklich keinen Kaffee, Mr. Nye? Es macht keine Umstände.«
Der Detective stellte das Gewehr zurück und ließ es dabei bewenden, obwohl er nicht den geringsten Zweifel hatte, dass es sich um die Waffe handelte, mit der die Clutters ermordet worden waren. »Danke, aber es ist schon spät, und ich muss noch nach Topeka«, sagte er und setzte nach einem Blick in sein Notizbuch hinzu:
»Lassen Sie mich das rasch noch einmal durchgehen, nur damit auch alles seine Richtigkeit hat. Perry Smith kam am Donnerstag, den 12. November, in Kansas an. Ihr Sohn hat behauptet, Smith wäre hierhergekommen, um eine bestimmte Summe Geldes abzuholen, bei seiner Schwester in Fort Scott. Am Samstag fuhren die beiden nach Fort Scott, wo sie auch übernachteten – bei besagter Schwester, nehme ich an?«
»Nein«, sagte Mr. Hickock. »Sie konnten sie nicht finden. War wohl weggezogen.«
Nye lächelte. »Trotzdem blieben sie über Nacht. Und in der Woche darauf – sprich zwischen dem 15. und dem 22.– traf Dick sich regelmäßig mit seinem Freund Perry, führte Ihres Wissen ansonsten aber ein ganz normales Leben:wohnte zu Hause und ging jeden Tag zur Arbeit.
Am 21. verschwand er, und mit ihm
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