Kaltblütig
beiden anderen waren Reno, wo Smiths Vater vermutet wurde, und San Francisco, wo Smiths Schwester wohnte, die hier Mrs. Frederic Johnson heißen soll. Obgleich Nye nicht nur Smiths Angehörige befragen wollte, sondern jeden, der ihm Näheres über den Verbleib des Gesuchten mitteilen konnte, ging es ihm hauptsächlich darum, sich die Unterstützung der örtlichen Polizeibehörden zu sichern. So hatte er den Fall Clutter nach seiner Ankunft in Las Vegas zunächst mit Lieutenant B. J. Handion, dem Chef der Kriminalabteilung des Las Vegas Police Department, durchgesprochen.
Worauf der Lieutenant ein Memorandum verfasst hatte, das sämtliche Polizeikräfte anwies, nach Hickock und Smith Ausschau zu halten: »Gesucht in Kansas wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen, zuletzt unterwegs in einem Chevrolet Bj. 1949 mit dem in Kansas ausgestellten Kennzeichen Jo-58269. Die Männer sind aller Voraussicht nach bewaffnet und somit als gefährlich einzustufen.« Auch hatte Handion ihm einen Detective zur Seite gestellt, der Nye helfen sollte, »die Leihhäuser abzuklappern«; »in einer Spielerstadt gibt es davon jede Menge«, sagte er. Gemeinsam hatten Nye und der Detective aus Las Vegas alle im Lauf des letzten Monats ausgestellten Pfandscheine überprüft. Nye hoffte in erster Linie ein Kofferradio der Marke Zenith zu finden, das vermutlich in der Mordnacht aus dem Clutter-Haus verschwunden war, doch damit hatte er kein Glück. Ein Pfandleiher erinnerte sich allerdings an Smith (»Der ist hier gut zehn Jahre ein und aus gegangen«) und konnte ihnen einen Pfandschein über ein Bärenfell vorlegen, das Smith in der ersten Novemberwoche versetzt hatte. Von diesem Pfandschein hatte Nye die Adresse der Pension.
»Ankunft 30. Oktober«, sagte die Wirtin. »Abreise 11.November.«
Nye warf einen Blick auf Smiths Unterschrift.
Er staunte über den pompösen, mit manierierten Schnörkeln und Schwüngen verzierten Namenszug – eine Reaktion, die der Wirtin anscheinend keineswegs entgangen war, denn sie sagte: »Mhhm. Und sie müssten ihn mal reden hören. Geschwollen bis dorthinaus, und dann auch noch mit dieser lispelnden Wisperstimme. Ein ziemlich schräger Vogel. Was hat das Bürschchen denn ausgefressen?«
»Verstoß gegen die Bewährungsauflagen.«
»Mhhm. Und deswegen sind Sie extra aus Kansas eingeflogen. Also, ich bin ja nur ein dummes Blondchen, mir können Sie alles erzählen. Aber ’ner Brünetten würd ich mit dem Märchen nicht kommen.« Sie setzte die Bierbüchse an, leerte sie und rollte die geleerte Büchse dann nachdenklich zwischen ihren geäderten, mit Altersflecken übersäten Händen. »Wie auch immer, was Großes kann’s eigentlich nicht gewesen sein. Das wüsste ich. Ich hab noch jedem angesehen, was für ’ne Schuhgröße er hat. Und der Bursche ist nichts weiter als ein Amateur. Ein kleiner Amateur, der mich allen Ernstes beschwatzen wollte, ihm die Miete für die letzte Woche zu erlassen.« Sie kicherte, vermutlich über die Absurdität dieses Ansinnens.
Der Detective wollte wissen, was Smiths Zimmer gekostet habe.
»Das Übliche. Neun Dollar die Woche. Plus fünfzig Cent Schlüsselgeld. Grundsätzlich in bar. Grundsätzlich im Voraus.«
»Und was hat er so getrieben, wenn er hier war? Hat er Freunde?«, fragte Nye.
»Meinen Sie, ich kümmere mich um das ganze Gesindel, das hier absteigt?«, entgegnete die Wirtin. »Penner. Ganoven. Das interessiert mich nicht. Ich hab ’ne Tochter, die hat reich geheiratet.« Dann setzte sie hinzu: »Nein, er hat keine Freunde. Zumindest hab ich ihn nie mit jemand Bestimmtem um die Häuser ziehen sehen. Wie er das letzte Mal hier war, hat er von morgens bis abends an seinem Wagen rumgeschraubt. Er stand gleich hier draußen vor der Tür. Ein alter Ford. Der Junge war noch nicht geboren, wie das Ding vom Band gelaufen ist. Er hat ihn neu lackiert. Oben schwarz und den Rest silber. Dann hat er ›zu verkaufen‹ auf die Windschutzscheibe gepinselt. Eines Tages hat irgendein Trottel angehalten und ihm vierzig Dollar dafür geboten – vierzig mehr, als die Kiste wert war. Aber er wollte mindestens neunzig dafür haben. Angeblich brauchte er das Geld für eine Busfahrkarte. Und dann hat ihn kurz vor seiner Abreise ein Farbiger gekauft.«
»Er brauchte das Geld für eine Busfahrkarte, sagen Sie?
Sie wissen nicht zufällig, wohin er wollte?«
Sie schürzte die Lippen und klemmte sich eine Zigarette dazwischen, ohne Nye aus den Augen zu lassen. »Jetzt mal im
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