Kalte Fluten
ist Wiebke zusammengebrochen.«
Randolf atmete tief ein und aus. »Welch Wunder«, sagte er. »Und? Warst du schon bei ihr?«
»Natürlich«, sagte Günter. »Ich liebe sie ja schließlich.«
»Gut, dass du es wenigstens zugibst. Was sagt sie?«
»Sie ist völlig fertig. Sie kann es im Grunde immer noch nicht glauben. Leider sind die Beweise aber eindeutig. Es ist zwar noch nicht alles ausgewertet. Aber die Schrauben, die die Spurensicherung in seiner Werkzeugkiste gefunden hat, waren die gleichen, mit denen Hansens Sarg verschlossen und mit denen Russen-Egons Saunatür fixiert wurde. Außerdem lag die Waffe, die Wolfgang als verloren gemeldet hatte, in seiner Wohnung. Das Kaliber entspricht dem, mit dem der Rentner umgebracht wurde. Wolfgang hatte, auch wenn das nur das kleinste Indiz ist, auch Kabelbinder zu Hause, mit denen ja alle Opfer gefesselt wurden. In seinem CD-Regal standen Aufnahmen aus Hansens und Lüerßens Wohnung. Er muss sie abgehört und ihre Gespräche aufgezeichnet haben.«
»Und die Eltern, die ihr Kind verhungern ließen?«
»Ach ja, richtig. Hätte ich fast vergessen. Auf seinem Rechner waren Downloads für die Herstellung von Zeitzündern. Genau die, die der Täter verwendet hat.«
Randolf dachte nach. Dann sagte er: »Du weißt, dass ich Agent war.«
»Es war meine Rettung, dass du das warst«, bemerkte Günter.
»Eben. Für mich sind das zu viele Indizien.«
»Wie meinst du das?«
»Ich nenne es das Gesetz der obskuren Perfektion.«
»Obskure Perfektion?«
»Wenn etwas so gut passt, ist es wahrscheinlich, dass etwas ganz anderes dahintersteckt.«
»Aber Wolfgang hat sich angesichts seiner Verhaftung umgebracht. Wie passt der Selbstmord in dein Gesetz der obskuren Perfektion?«
»Zugegeben. Vielleicht war er es doch.« Nachdenklich trank Randolf sein Glas leer. »Doch jetzt zu Wiebke. Wie geht es ihr?«
»Wir haben ausführlich gesprochen. Körperlich ist alles in Ordnung. Sie wird schon heute Abend wieder entlassen. Hat ja beste Pflege zu Hause.«
Randolf verzog die Miene.
»Sie überlegt, den Job hinzuwerfen«, ergänzte Günter.
»Was? Was will sie denn tun?«
»Sie ist frustriert. Hält sich für eine schlechte Polizistin. Ist menschlich enttäuscht. Auf gut Deutsch: Sie hat die Schnauze gestrichen voll.«
»Das gibt sich wieder«, machte Randolf Günter und vor allem sich selbst Mut. »Wie willst du ihr helfen?«
»Ich?« Günter schüttelte den Kopf. »Nein, mich, lieber Randolf, geht das alles leider gar nichts an.«
Sie tranken. Sie tranken viel.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte Randolf schließlich.
»Ich studiere die ausgeschriebenen Positionen für leitende Staatsanwälte. In Karlsruhe suchen sie jemanden. Ich habe da ganz gute Chancen.«
»Du willst weg hier? Warum?«
»Ich bin ein Wessi, hast du das vergessen? Sei doch froh, dass ich überlege, wieder wegzuziehen.«
»Arschloch. Zum Wohl!«
»Zum Wohl!«
***
»Ich liebe dich«, sagte Wiebke. »Danke, dass du die Akte ›vergessen‹ hast.«
»Das hast du gemerkt?«, erwiderte Thomas lächelnd.
»Du bist ein exakter Mensch. Du hast die Akte nicht aus Zufall liegen lassen. Du vergisst schon mal hin und wieder etwas. Aber nichts, was deine Patienten oder deine Arbeit betrifft.«
Sie tranken Wasser. Thomas war der Meinung, dass aus ärztlicher Sicht nach dieser nervlichen Anspannung Alkohol grundfalsch wäre. Wiebke hätte zwar viel für einen ordentlichen Schluck gegeben. Aber sie fügte sich.
»Thomas«, fragte sie schließlich. »Was hältst du davon, wenn wir von hier weggehen?«
»Du willst Rostock verlassen?«
»Was hält mich denn hier?«
»Und was wollen wir machen?«
»Du könntest dir eine Stelle in einer Klinik ganz weit weg suchen.«
»Ich habe eigentlich immer davon geträumt, mal eine eigene Praxis zu haben«, sinnierte er.
»Dann machen wir das«, sagte Wiebke. »Du machst die Praxis auf, und ich kümmere mich um die Verwaltung.«
»Das würdest du tun? Deinen Job aufgeben, damit wir zusammen eine Praxis betreiben?«
Wiebke nickte heftig. Dann ergänzte sie: »Und mit ein bisschen Glück kriegen wir vielleicht auch noch einen kleinen Thomas Schulte hin.«
Sie erschrak über sich selbst. Warum sagte sie das? Kinder zu haben war für sie immer eine bizarre Vorstellung gewesen. Sie mochte ja ihre Qualitäten haben, aber als Muttertier hatte sie sich noch nie gesehen. Und jetzt bot sie Thomas genau das an.
Wiebke, das hast du schön gesagt.
Denkst du, Mama?
»Oder eine
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