Kalte Fluten
Profession aufkommen. Das gesamte Bild war in sich stimmig.
»Sie wünschen?«, fragte Wiebke, noch immer wenig begeistert über den unangekündigten Besuch.
»Ich möchte eine Aussage machen, Schätzchen.«
»Ich bin nicht Ihr Schätzchen«, konterte Wiebke. »In welcher Sache denn?«
»Im Mordfall Hansen. Ich glaube, ich weiß, wer der Täter ist.«
Wie elektrisiert sprang Wiebke auf. »Nehmen Sie doch Platz. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Wenn Sie rauchen wollen, lasse ich Ihnen gerne auch einen Aschenbecher bringen …« Wiebke wusste gar nicht, welche Höflichkeit sie Belinda zuerst angedeihen lassen sollte.
»Dir geht der Arsch ziemlich auf Grundeis, Schätzchen, wie?«
Wiebke nickte. Von einer Sekunde auf die andere war ihr völlig egal, dass diese alternde Bordsteinschwalbe sie schon wieder »Schätzchen« nannte und sie auch noch flegelhaft duzte.
»Das kann man wohl sagen«, gab sie unumwunden zu. »Aber woher weißt du das?«
»Liest du keine Zeitung?«
»Na, jetzt werd mal nicht unverschämt.«
»Sie verdächtigen deinen Chef, dass er den Hansen eingebuddelt hat. Das glaube ich nicht.«
»Ich auch nicht. Aber wenn ich keinen Täter finde, sieht es für ihn schlecht aus«, sagte Wiebke.
»Deshalb bin ich hier. Wenn du mir versprichst, dass ich aus der Sache heil rauskomme, sage ich dir, was ich weiß.«
Wiebke wurde vorsichtig. War diese Belinda vielleicht am Mord beteiligt und wollte sich nun billig aus der Verantwortung flüchten?
»Aus welcher Sache willst du heil herauskommen?«
»Ich habe damals eine falsche Aussage gemacht. Ich habe euch erzählt, dass ich mit Fritjof Hansen ein Verhältnis hatte, weswegen Christof sich mit ihm geprügelt hat.«
»Und das stimmt nicht?«, fragte Wiebke erleichtert.
»Ich kannte ihn natürlich, war aber nicht mit ihm zusammen. Nicht an dem Abend und auch sonst nicht.«
»Warum hast du dann seine Schweinereien durch eine Falschaussage gedeckt?«
»Erstens schuldete ich ihm noch einen Gefallen, und zweitens …« Belinda hielt inne. Sie hatte offensichtlich Angst, sich selbst zu belasten.
»Was, zweitens?«, bohrte Wiebke nach. »Jetzt raus mit der Sprache!«
»Na ja. Ich dachte mir, wenn ich ihm ein Alibi gebe, habe ich ihn in der Hand, was mir geschäftlich nützen könnte.«
»Du wolltest ihn damit also später mal erpressen?«
»Ach, ihr Bullen habt immer so schlimme Wörter. Da er weiß, was mir bekannt ist, wird er von sich aus nett und großzügig sein.«
»Oder dich irgendwann beseitigen. Aber beides hat sich mit seinem Tod ja nun erledigt. Fassen wir also zusammen: Du hast dem Hansen, aus welchen Gründen auch immer, eine plausible Erklärung für seine Auseinandersetzung mit seinem Dealer geliefert.«
»Ja, habe ich. Und wenn es nicht um Mord gehen würde und um einen Unschuldigen, würde ich auch nichts sagen.«
»Was ist denn nun die Wahrheit?«
»Der Hansen war eine ganz große Nummer im Heroinhandel hier in der Gegend. Er war aber ein vorsichtiger Junge. Die gefährliche Drecksarbeit an der Front erledigte Christof Lüerßen. Dieser Wichser hat sogar an Schulen Gratisproben verteilt, bis die Teenies an der Nadel hingen und nachkaufen mussten.«
Wiebke konnte Belindas Verachtung für Lüerßens Praktiken an deren Gesicht ablesen.
»Nachdem das mit Lydia passiert war, seid ihr ihm zu sehr auf die Pelle gerückt, also sollte ich euch weismachen, dass Christof ihn umgebracht hat. Sein Plan war einfach: Er verschwindet aus Rostock, nachdem er Christof beseitigt hat, und fängt woanders neu an. Ich verdächtige Christof, ihn gekillt zu haben, und ihr sucht vergeblich einen mutmaßlichen Mörder, der längst tot und begraben ist.«
»Nicht blöd, der Plan«, sagte Wiebke. »Wenn er funktioniert hätte.«
»Mich hat Hansens Plan angekotzt, ich konnte ihm das aber nicht ausreden. Zum Schein bin ich darauf eingegangen. Dann bin ich zu Christof und habe ihn gewarnt.«
»Warum? Er ist doch nicht gerade ein sympathischer Zeitgenosse.«
»Nein. Aber man killt nicht so einfach einen Menschen. Das ist nicht mein Ding. Ich bin eine Nutte, keine Mörderin.«
»Das glaube ich dir sogar. Und dann?«
»Nachdem ich Christof also von Hansens Plan erzählt hatte, war der natürlich sauer. Er sagte, er würde ihn umbringen. Das wollte ich natürlich auch nicht. Ich habe auf ihn eingeredet wie auf ein krankes Pferd, bis er mir versprochen hat, Hansen in Ruhe zu lassen. Christof hatte ziemlich große Pläne. Er wollte Hansen ausbooten und
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