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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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stellen müsste. Das sah er ganz genauso. Das alles hat sich Wiebke ausgedacht. Und ich finde, wir sollten auf sie anstoßen.«
    Günter und Randolf standen auf. Sie erhoben ihre Gläser und ließen Wiebke mehrfach hochleben. Dann gab Günter Wiebke einen Kuss auf die Wange. Sie wurde rot. Randolf atmete tief ein und aus.
    »Entschuldigt mich bitte, ich muss mal austreten«, sagte Günter.
    Randolf sah ihm prüfend hinterher, erhaschte zufällig Wiebkes sehnsuchtsvollen Blick und fragte sie: »Warum nimmst du ihn nicht, wenn du ihn schon liebst?«
    »Onkel«, zischte sie leise. »Erstens liebe ich ihn nicht. Er ist nur ein guter Freund, vielleicht ein sehr guter, aber eben nur ein Freund. So etwas braucht man auch. Zweitens wollte ich nie einen, der auch nur entfernt mit der Polizei oder der Verfolgung von Verbrechern zu tun hat, drittens nie einen Raucher und viertens immer einen Arzt. Eine Menge Gründe, meinst du nicht auch?«
    Die alle von deiner Mutter stammen könnten, dachte Randolf.
    »Der Typ hat aber einen geilen Arsch«, bemerkte er. »Und glaube mir, dass ich das beurteilen kann.«
    »Sex ist nicht alles, Onkel«, sagte Wiebke.
    »Mag sein. Klappt denn der Sex mit deinem Seelenklempner?«
    »Ja«, log sie. »Im Großen und Ganzen.«
    Sie wird einen Fehler machen, dachte Randolf. Einen großen Fehler. Sie wird diesen aufgeräumten Arzt heiraten, weil meine dämliche Schwägerin ihr Flausen in den Kopf gesetzt hat. Und ich kann es nicht verhindern. Dabei ist dieser Günter doch so ein netter Typ. Zwar Wessi. Aber nett und mit dem vielleicht knackigsten Hintern diesseits der Elbe.
    Günter spürte, dass sie über ihn gesprochen hatten, als er den Raum wieder betrat. Dieses beredte Schweigen, dieses in den Gesichtern abzulesende krampfhafte Suchen nach einem anderen Gesprächsthema.
    Er betrachtete versonnen seine Retterin. Nein, sie war sogar ein Engel. Jetzt wusste Günter, wie Engel aussahen: Sie waren nicht blond, sondern brünett. Ihr Haar war nicht lang, sondern modisch kurz geschnitten. Sie hatten keine Pausbacken, sondern ein ebenmäßig schlankes Gesicht mit vollen, sinnlichen Lippen und einer süßen Stupsnase. Sie waren keine Mädchen, sondern Frauen mit einem etwa apfelsinengroßen Busen und einem runden, weiblichen, verführerischen Hintern.
    Engel sahen aus wie Wiebke.
    ***
     
    Endlich hatte sie wieder Zeit für ihren eigentlichen Beruf. Günter war gerettet. Eine Last fiel von ihr ab. Jetzt musste sie beweisen, dass ihr Chef kein Mörder war. Doch je mehr Wiebke sich den Kopf zermarterte, desto verzweifelter wurde sie. Ihr Schreibtisch quoll über vor Akten, und ihre Fingernägel hatte sie auch schon bis auf das Nagelbett abgekaut. Sie ärgerte sich darüber. Das letzte Mal, dass sie in diese Verhaltensweise zurückgefallen war, war 1992 gewesen, als sie den Begriff »Rasterfahndung« nicht gekannt hatte und ihr damaliger Chef, so ein arroganter, aalglatter Typ, sie fragte, ob sie denn wirklich überzeugt sei, den richtigen Beruf ergriffen zu haben.
    Bald darauf war dann aber Wolfgang gekommen, und alles wurde gut. Sie war es ihm schuldig, sie musste den wahren Mörder finden. Natürlich hoffte sie, so auch die Reste des Verdachts, den sie gegen ihn hegte, beseitigen zu können. Aber sie fand einfach keinen Ansatzpunkt.
    Vielleicht, überlegte sie, lag es daran, dass ihr Beruf darauf ausgelegt war, die Beweise für die Schuld des Täters hieb- und stichfest ermitteln zu müssen. Denn Zweifel an der Schuld führten immer zum Freispruch. Das, was gegen Wolfgang sprach, reichte zwar nie und nimmer für eine Anklage. Es war aber ausreichend für seine Suspendierung. Es war zum Haareraufen.
    Wiebke litt aber nicht nur unter dieser vertrackten Situation. Sie musste den Verfall des bulligen Mannes zum menschlichen Wrack beobachten. Nur seine Unschuld, nur der Dienst wäre die Chance, diesen Prozess aufzuhalten und vielleicht sogar umzukehren. Das war auch die Meinung von Thomas. Sie war froh, dass er ihr das gesagt hatte, denn über seine Patienten ließ er sich sonst nicht ein Sterbenswort entlocken. Auch nicht unter Alkoholeinfluss, was aber wohl mehr daran lag, dass Thomas außer dem Höflichkeitsschluck so gut wie nichts trank.
    Es klopfte.
    »Herein«, sagte Wiebke mürrisch.
    Sie wusste nicht, was sie zuerst bemerkte. Das aufdringlich süße Parfüm, das schrille Outfit oder das billig geschminkte Gesicht. Zumindest ließ Belinda Rietschoten in ihrem roten Lackkleid keinerlei Zweifel an ihrer

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