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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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lernen! Hast du das vergessen?«
    »Scheißdreck«, sagte Randolf. »Von den Sowjets lernen heißt saufen lernen.« Er füllte die Wassergläser mit Wodka. Sie prosteten sich zu.
    Der Schnaps löste seine Zunge weiter. »Was soll’s. Wiebke wird es dir sowieso eines Tages erzählen. Die Wahrheit ist also, dass ich andere verraten habe. Kollegen, die sich abfällig über den Staat geäußert hatten. Nachbarn, von denen ich wusste, dass sie sich in den Westen absetzen wollten. Die wurden dann kurz drauf wegen strafbarer Republikflucht verhaftet. Ich habe alle diese Schweinereien gemacht, die ein Wessi nie verstehen kann. Weswegen ich heute ein auf Sozialhilfe, Hartz IV heißt das, glaube ich, angewiesener, von allen verachteter und gebeutelter Mensch wäre, wenn Wiebke das nicht für mich geregelt hätte.«
    Wiebke liebte ihren Onkel mit jedem Satz mehr. Sie war stolz auf ihn. Nicht nur, weil er Günter gerettet hatte. Vielmehr, weil er so ehrlich war. Er war einem Dritten gegenüber ehrlich. Und dann noch einem Wessi.
    »Und das stand alles in deiner Akte?«
    Randolf nickte. »Ich hatte 1989 keine Ahnung, dass wir kurz vor dem Aufkauf durch die BRD standen. Ich habe ganz gemütlich in Bulgarien Urlaub gemacht, als hier die Bombe hochging. Wiebke hat wohl geahnt, dass es über mich eine Akte bei der Stasi gab. Sie hat sie herausgeschmuggelt und vernichtet. Dafür war ich ihr den kleinen Gefallen schuldig, dir zu helfen.«
    Sie tranken Wodka. Viel Wodka.
    »Sag mal, wie hast du das eigentlich hingekriegt?«
    »Was?«, lallte Randolf.
    »Na ja. Die Sache mit dem Tresor und den Unterlagen.«
    »Wenn ich sagen würde, das wäre einfach gewesen, wäre es gelogen. Wiebkes Plan basierte auf der Erkenntnis, dass man bei der Lüge am besten so nahe wie möglich bei der Wahrheit bleibt. Sie wäre eine gute Agentin geworden …«
    »Onkel!«
    »Ja, ist ja gut. Nachdem du diese Spickzettel zusammengestellt hattest …«
    »Hör mir auf. Drei Tage und Nächte musste ich alle möglichen Aufbauschemata und sonstigen Mist aus den alten Alpmann-Skripten zusammenschreiben. Gut, dass ich die nie weggeworfen habe. Aber wie kamen die Dinger in Kleinerts Tresor?«
    »Ich war ausgebildeter Industriespion. Dafür musste ich in der Lage sein, Panzerschränke zu öffnen und zu schließen, ohne dass ich Spuren hinterlasse. Ich dachte schon, ich wäre eingerostet. Aber man verlernt so etwas wohl nicht. Ich wartete also ab, bis dieser Kleinert nach Hause fuhr, schlich mich in sein Büro, öffnete den Safe und tauschte den Inhalt des Ordners aus.«
    »Und die Durchschrift der Quittung mit seiner Handschrift?«
    »Genial, nicht wahr?«, sagte Randolf stolz. »Ich habe da noch so ein paar Kollegen aus alten Tagen … Wenn die dein Testament schreiben würden, würde jeder Grafologe Stein und Bein schwören, dass du es warst. An Schriftproben zu kommen war einfach. Dann mussten wir nur noch einen alten Quittungsblock auftreiben, und fertig war die Laube.«
    »Während ich meinem Chef die rührselige Geschichte vom unter Druck gesetzten Beamten unterjubelte, hast du also nach alter Ostmanier Dokumente gefälscht und einen Einbruch verübt.«
    »Genau«, sagte Randolf. »Was hat er eigentlich dazu gesagt?«
    Günter lächelte. »Er sagte, dass, wenn jeder Jurist, der mal einen Spickzettel im Examen benutzt hat, aus dem Dienst entfernt werden müsste, wir den Laden zusperren könnten. Dann hat er mir mit romantisch verklärtem Blick erzählt, dass er für seine Prüfungen alle wichtigen Aufbauschemata in den Schönfelder eingeheftet hatte.«
    »Schönfelder?«
    »Das ist die wichtigste der großen roten Gesetzessammlungen. Eine Loseblattsammlung. Die Gesetze sind auf extrem dünnes, einzeln herausnehmbares Papier gedruckt. Der General hat sich also dieses Dünndruckpapier besorgt, die Schemata darauf notiert und sie im Schönfelder an verschiedenen Stellen abgeheftet. Er sagte, er hätte sich fast in die Hose gemacht, als die Aufsicht seinen Schönfelder zur Prüfung in die Hand nahm, aber aus welchen Gründen auch immer die Sache nach ein paarmal Durchblättern abbrach.«
    »Ihr habt euch sozusagen Kriegserlebnisse erzählt.«
    »Kann man so sagen. Jedenfalls schockte ihn die Sache mit den Spickzetteln überhaupt nicht. Den Bestechungsversuch nahm er aber sehr ernst. Dann habe ich ihm berichtet, dass ich gute Kontakte zu Wiebke habe, die der Meinung war, dass man Kleinert nicht ungestraft davonkommen lassen dürfte und man ihm deswegen eine Falle

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